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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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die Beine gestellt. Die funktionierte sehr gut.« – »Ja, aber dann kam Polen. Kein Land der Welt war bereit, drei Millionen Juden aufzunehmen.« – »Genau.« Er hatte sich wieder aufgerichtet und ein Bein über das andere geschlagen. »Aber selbst zu dem Zeitpunkt hätte man die Schwierigkeiten noch Schritt für Schritt lösen können. Die Gettoisierung war natürlich eine Katastrophe; doch Franks Verhalten hat meiner Meinung nach erheblich dazu beigetragen. Das eigentliche Problem lag darin, dass man alles gleichzeitig wollte: die Volksdeutschen heim ins Reich holen und das jüdische und das polnische Problem lösen. Das musste ins Chaos führen.« – »Schon, aber andererseits war die Heimholung der Volksdeutschen doch dringend geboten: Niemand konnte wissen, wie lange Stalin noch zur Zusammenarbeit bereit sein würde. Er hätte die Grenzen von heute auf morgen schließen können. Und übrigens ist es uns nicht gelungen, die Wolgadeutschen zu retten.« – »Wir hätten es können, denke ich. Aber sie wollten nicht kommen. Sie haben den Fehler begangen, Stalin zu vertrauen. Sie haben sich durch ihr Statut geschützt gefühlt, nicht wahr? Auf jeden Fall haben Sie Recht: Wir hätten unbedingt mit den Volksdeutschen beginnen müssen. Aber das betraf nur die Anschlussgebiete, nicht das Generalgouvernement. Wären alle zur Zusammenarbeit bereit gewesen, hätte die Möglichkeit bestanden, die Juden und Polen aus dem Warthegau und Danzig-Westpreußen ins Generalgouvernement umzusiedeln, um Platz für die Optanten zu schaffen. Doch hier stoßen wir an die Grenzen unseres nationalsozialistischen Staates, so wie er sich heute darstellt. Die Organisation der nationalsozialistischen Verwaltung wird zweifellos noch nicht den politischen und sozialen Bedürfnissen unserer Gesellschaftsform gerecht. Die Partei krankt an zu vielen verderbten Elementen, die ihre Privatinteressen verteidigen.Infolgedessen wird jede Meinungsverschiedenheit sofort zu einem erbitterten Konflikt. Im Falle der Repatriierung haben die Gauleiter der Anschlussgebiete eine ungeheure Arroganz an den Tag gelegt, und das Generalgouvernement hat sich genauso aufgeführt. Jeder behauptet von sich, er werde von den anderen als Müllabladeplatz missbraucht. Und die SS, die eigentlich mit der Lösung des Problems beauftragt worden war, hatte nicht genügend Macht, um eine vernünftige Regelung durchzusetzen. In jedem Stadium ergriff irgendwer eine abenteuerliche Initiative oder stellte die Entscheidungen des Reichsführers in Frage, indem er seine persönliche Beziehung zum Führer nutzte. Unser Staat ist ein absoluter, nationaler und sozialistischer Führerstaat bisher nur in der Theorie; in der Praxis ist er eine Art pluralistische Anarchie, und es verschlimmert sich zusehends. Der Führer kann versuchen zu vermitteln, aber überall sein kann er nicht, und unsere Gauleiter verstehen sich ausgezeichnet darauf, seine Befehle zu interpretieren, sie sich nach Bedarf zurechtzubiegen und hinterher zu verkünden, sie würden nach seinem Willen handeln, um in Wirklichkeit zu tun, was sie wollen.«
    All das hatte uns ein wenig von den Juden fortgeführt. »Ach ja, das auserwählte Volk. Selbst angesichts all dieser Hindernisse wären noch angemessene Lösungen möglich gewesen. Nach unserem Sieg über Frankreich beispielsweise hat der SD in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt ernsthaft über den Madagaskarplan nachgedacht. Zuvor war erwogen worden, alle Juden in Lublin und Umgebung anzusiedeln, in einer Art großem Reservat, wo sie in Frieden hätten leben können, ohne noch eine größere Gefahr für Deutschland darzustellen; doch das Generalgouvernement hat das kategorisch abgelehnt; Frank hat seine Beziehungen spielen lassen und den Plan torpediert. Madagaskar war ernst gemeint. Wir haben Untersuchungen vorgenommen, da wäre genügend Platz für alle Juden in unserer Einflusssphäregewesen. Wir waren in der Planung schon sehr weit fortgeschritten, wir haben die Mitarbeiter der Staatspolizei zur Vorbereitung ihrer Abreise sogar schon gegen Malaria geimpft. Das Projekt wurde vor allem vom Amt IV vorangetrieben, aber der SD hat Informationen und Ideen beigesteuert, und ich habe alle Berichte gelesen.« – »Und warum ist nichts daraus geworden?« – »Ganz einfach, weil die Briten sich unvernünftigerweise geweigert haben, unsere drückende Überlegenheit anzuerkennen und einen Friedensvertrag mit uns zu unterzeichnen! Davon hing das Ganze ab. Zunächst einmal,

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