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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Heimatstadt Hamburg geleitet hatte und dann als IdS in Düsseldorf tätig gewesen war, richtete einige Worte an uns. Er schien mit seiner neuen Dienststellung sehrzufrieden zu sein: »Die Arbeit im Osten ist für einen Mann, besonders in Kriegszeiten, ein besonderer Ansporn«, erklärte er uns. Eigentlich war er Jurist und Anwalt; doch in seinen Ausführungen während der Rede und des folgenden Empfangs konnte er den Polizisten nicht verleugnen. Er mochte vierzig Jahre alt sein, war eher gedrungen, kurzbeinig und hatte eine etwas verschlagene Miene; trotz seines Doktortitels war er sicherlich kein Intellektueller, und in seiner Sprechweise mischte sich der Hamburger Dialekt mit dem Sipo-Jargon; aber er schien entschlossen und kompetent zu sein. Nach diesem Abend sah ich Ohlendorf nur noch ein einziges Mal, beim Festbankett, das das AOK zur Feier der Einnahme Sewastopols gab: Er wurde von den Offizieren der Armee mit Beschlag belegt und unterhielt sich lange mit Manstein; aber er wünschte mir viel Glück und lud mich ein, ihn zu besuchen, wenn ich in Berlin sei.
    Auch Voss war abgereist, nachdem er unvermittelt zum AOK des Generalobersten von Kleist abkommandiert worden war, dessen Panzer bereits die östliche Grenze der Ukraine überschritten hatten und in Richtung Millerowo vorstießen. Ich fühlte mich ein wenig einsam. Bierkamp war vollauf mit der Reorganisation der Kommandos beschäftigt, von denen einige aufgelöst werden sollten, um auf der Krim ständige Einrichtungen von Sipo und SD zu bilden; Seibert bereitete sich seinerseits auf seine Abreise vor. Mit Beginn des Sommers war es im Landesinneren der Krim unerträglich schwül geworden, daher suchte ich so oft wie möglich Erholung an den Stränden. Ich besichtigte Sewastopol, wo sich eines unserer Kommandos bereits an die Arbeit gemacht hatte. Der langgestreckte Hafen in der südlichen Bucht war von einer Vielzahl noch rauchender Ruinen umstanden, ausgelaugte Zivilisten huschten in ihnen umher, die schockiert waren, dass schon evakuiert wurde. Kleine Gören, blass und schmutzig, wieselten zwischen den Beinen der Soldaten umherund bettelten um Brot; vor allem die Rumänen jagten sie mit Ohrfeigen oder Stiefeltritten in den Hintern davon. Ich stieg in die unter dem Hafen gelegenen Kasematten hinab, in denen die Rote Armee Waffen- und Munitionsfabriken eingerichtet hatte; größtenteils waren sie demontiert oder verbrannt; in der Endphase der Schlacht hatten sich Kommissare, gelegentlich mit ihren Männern und den Zivilisten, die dort oder in den Felshöhlen Schutz gesucht hatten – sowie den deutschen Soldaten, die sich zu weit vorgewagt hatten –, in die Luft gesprengt. Doch alle hochrangigen sowjetischen Offiziere und Funktionäre waren vor dem Fall der Stadt von U-Booten herausgeholt worden, sodass wir nur Soldaten oder kleine Würstchen gefangen genommen hatten. Die kahlen Höhenzüge, die die riesige Bucht im Norden überragten und die Stadt umgaben, waren mit zerstörten Befestigungsanlagen übersät; die Stahlkuppeln der 30,5-cm-Festungsartillerie waren von den 80-cm-Granaten unseres schweren Eisenbahngeschützes förmlich zerfetzt worden; die langen verkrümmten Rohre der russischen Geschütze waren zur Seite abgeknickt oder ragten in den Himmel. In Simferopol packte das AOK 11 seine Sachen; Manstein, zum Generalfeldmarschall befördert, brach mit seinem Armeestab auf, um Leningrad in Schutt und Asche zu legen. Von Stalingrad sprach damals natürlich noch niemand: Das galt noch als zweitrangiges Ziel.
     
    Anfang August setzte sich die Einsatzgruppe in Marsch. Unsere Truppen, mittlerweile aufgeteilt in die Heeresgruppen A und B, hatten in heftigen Straßenkämpfen gerade Rostow zurückerobert, und die Panzer stießen, nachdem sie den Don überquert hatten, in die Kubansteppe vor. Bierkamp versetzte mich zum Vorkommando des Gruppenstabes und schickteuns über Melitopol nach Rostow, wo wir uns der 1. Panzerarmee anschließen sollten. Unser kleiner Konvoi passierte rasch die Landenge und den gewaltigen Tatarengraben, der von den Sowjets in einen Panzergraben umgewandelt worden war; hinter Perekop bogen wir ab, um die Nogaische Steppe zu durchqueren. Die Hitze war fürchterlich, der Schweiß floss in Strömen, der Staub klebte wie eine graue Maske am Gesicht; doch im Morgengrauen, kurz nach dem Aufbruch, hatte sich ein zartes wunderbares Farbspiel lange Zeit am nur langsam erblauenden Himmel gehalten und meine Trübsal vertrieben. Regelmäßig mussten

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