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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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weil Frankreich uns Madagaskar hätte abtreten müssen, was Gegenstand des Vertrags gewesen wäre, und dann, weil England sich mit seiner Flotte hätte daran beteiligen müssen, verstehen Sie?«
    Ohlendorf unterbrach sich, um eine neue Kanne Kaffee bei seiner Ordonnanz bestellen zu gehen. »Auch hier in Russland waren die anfänglichen Vorstellungen sehr viel begrenzter. Alle dachten, der Feldzug würde nicht lange dauern, daher wollten wir wie in Polen vorgehen, das heißt die Rädelsführer, die Intellektuellen, die bolschewistischen Kader, alle gefährlichen Leute ausschalten. Das allein wäre schon eine grässliche Aufgabe, aber lebenswichtig und logisch, bedenkt man, wie maßlos der Bolschewismus in seinen Zielsetzungen ist und wie skrupellos. Nach dem Endsieg hätten wir wieder über eine umfassende und endgültige Lösung nachdenken können, indem etwa ein jüdisches Reservat im Norden oder in Sibirien geschaffen oder sie nach Birobidshan geschickt worden wären, warum nicht?« – »Wie dem auch sei, es bleibt eine grässliche Aufgabe«, sagte ich. »Darf ich Sie fragen, warum Sie den Posten hier angenommen haben? Bei Ihrem Dienstgrad und Ihren Fähigkeiten wären Sie doch in Berlin viel nützlicher gewesen.« – »Gewiss«, erwiderte er lebhaft. »Ich bin weder Militär noch Polizist, und diese Handlangerdienste sagen mir überhaupt nicht zu. Aber es war ein direkterBefehl, und ich musste ihn befolgen. Und wie gesagt, wir sind alle der Meinung gewesen, dass das Ganze nur ein, zwei Monate dauert, nicht länger.« Ich war erstaunt, dass er mir so freimütig geantwortet hatte; noch nie hatten wir ein so offenes Gespräch gehabt. »Und was ist mit dem Vernichtungsbefehl des Führers?«, fragte ich weiter. Ohlendorf antwortete nicht sofort. Die Ordonnanz brachte den Kaffee; Ohlendorf wollte mir wieder nachschenken: »Danke, ich habe genug.« Er blieb in Gedanken vertieft. Schließlich sagte er langsam, seine Worte mit Bedacht wählend: »Der Vernichtungsbefehl des Führers ist eine schreckliche Sache. Paradoxerweise hört er sich fast wie ein Befehl Gottes aus der Bibel der Juden an, nicht wahr? So zieh nun hin und schlag Amalek und vollstrecke den Bann an ihm und an allem, was er hat, verschone sie nicht, sondern töte Mann und Frau, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel. Aus dem 1. Buch Samuel, kennen Sie sicherlich. Als ich den Befehl erhielt, musste ich an diese Stelle denken. Und wie gesagt, ich halte das für einen Fehler, unsere Intelligenz und Fähigkeiten hätten ausreichen müssen, um eine … menschlichere Lösung zu finden, eine Lösung, sagen wir, die besser mit unserem Gewissen als Deutsche und Nationalsozialisten in Einklang zu bringen gewesen wäre. Insofern ist es ein Fehlschlag. Doch wir müssen auch die Realitäten des Krieges sehen. Der Krieg hält an, und jeder Tag, an dem dieser Feind hinter unseren Linien lauert, stärkt unsere Gegner und schwächt uns. Es ist ein totaler Krieg, der alle Kräfte des Volkes verlangt, und wir dürfen nichts vernachlässigen, was dem Sieg dienen könnte, nichts. Das hat der Führer in aller Klarheit erkannt: Er hat sicherlich den gordischen Knoten der Zweifel, des Zögerns, der Interessenskonflikte durchschlagen. Er hat es getan – wie er alles tut –, um Deutschland zu retten, wohl wissend, dass er damit möglicherweise Hunderttausende von Deutschen in den Tod schickt, das kann undmuss er auch mit den Juden und allen unseren anderen Feinden tun. Die Juden beten für unsere Niederlage und betreiben sie mit allen Mitteln, und solange wir noch nicht gesiegt haben, können wir einen solchen Feind nicht an unserem Busen nähren. Und was uns angeht – uns, denen aufgetragen ist, diese schwere Aufgabe durchzuführen, unsere Pflicht gegenüber unserem Volk, unsere Pflicht als wahre Nationalsozialisten zu erfüllen –, so haben wir zu gehorchen. Selbst wenn der Gehorsam das Messer ist, das dem Willen des Menschen die Kehle durchschneidet , wie der heilige Josef von Copertino sagt. Wir müssen diese Pflicht in derselben Weise auf uns nehmen, wie Abraham das Unausdenkliche auf sich nimmt: das von Gott geforderte Opfer seines Sohnes Isaak. Haben Sie Kierkegaard gelesen? Er nennt Abraham den Ritter des Glaubens , der nicht nur seinen Sohn opfern muss, sondern auch und vor allem seine ethischen Grundsätze. Uns geht es genauso, nicht wahr? Wir müssen Abrahams Opfer vollenden.«
     
    Wie ich Ohlendorfs Äußerungen entnehmen konnte, hätte er es

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