Die Wohlgesinnten
vorgezogen, nicht auf diesen Posten versetzt zu werden; aber wer hatte schon in dieser Zeit das Glück, tun zu können, wozu er Lust hatte? Das hatte er begriffen und akzeptierte es sehenden Auges. Als Kommandeur war er streng und gewissenhaft; im Unterschied zu meiner alten Einsatzgruppe, die diese wenig praktische Methode rasch aufgegeben hatte, bestand er darauf, dass die Exekutionen militärisch durchgeführt wurden, das heißt durch Erschießungskommandos; häufig schickte er seine Offiziere, etwa Seibert und Schubert, zur Inspektion, um zu überprüfen, ob die Kommandos seine Befehle befolgten. Es war ihm auch wichtig, dass nach Möglichkeit alle Diebstähle und Unterschlagungen der mit denExekutionen beauftragten Soldaten unterbunden wurden. Außerdem hatte er streng verboten, die Verurteilten zu schlagen oder zu quälen; laut Schubert wurden diese Befehle so weit wie möglich befolgt. Davon abgesehen, bemühte sich Ohlendorf fortwährend, positive Initiativen zu ergreifen. Im vorangehenden Herbst hatte er in Zusammenarbeit mit der Wehrmacht eine Kolonne aus jüdischen Handwerkern und Bauern zusammengestellt, um die Ernte in der Umgebung von Nikolajew einbringen zu lassen; dieses Experiment musste er auf direkten Befehl des Reichsführers abbrechen, doch ich wusste, dass er es bedauerte, und insgeheim hielt er den Befehl für einen Fehler. Auf der Krim hatte er sich vor allem um bessere Beziehungen zur tatarischen Bevölkerung bemüht, und zwar mit beträchtlichem Erfolg. Im Januar, als die sowjetische Überraschungsoffensive und der Verlust von Kertsch unsere Gesamtlage auf der Krim gefährdet hatten, stellten die Tataren Ohlendorf spontan ein Zehntel ihrer männlichen Bevölkerung zur Verfügung, um bei der Verteidigung unserer Linien zu helfen; außerdem leisteten sie der Sipo und dem SD beträchtliche Hilfe bei der Bandenbekämpfung, indem sie Partisanen, die ihnen in die Hände fielen, auslieferten oder selbst liquidierten. Die Armee wusste diese Hilfe zu schätzen, und Ohlendorfs Bemühungen in dieser Hinsicht hatten, nach dem Konflikt mit Wöhler, erheblich zur Verbesserung der Beziehungen zum AOK beigetragen. Trotzdem fühlte er sich auch weiterhin nicht sehr wohl in seiner Rolle; und ich war nicht sonderlich überrascht, als er sich nach Heydrichs Tod um seine Rückkehr ins Reich bemühte. Heydrich wurde am 29. Mai in Prag verwundet und starb am 4. Juni; am folgenden Tag flog Ohlendorf nach Berlin, um an den Begräbnisfeierlichkeiten teilzunehmen; er kehrte in der zweiten Hälfte des Monats mit der Beförderung zum SS-Brigadeführer und der Zusicherung einer baldigen Ablösung zurück; gleich nach seiner Rückkehrmachte er die Runde, um sich zu verabschieden. Eines Abends erzählte er mir kurz, wie sich das zugetragen hatte: Vier Tage nach Heydrichs Tod hatte der Reichsführer ihn zu einer Besprechung mit den meisten anderen Amtschefs bestellt – Müller, Streckenbach und Schellenberg –, um die Zukunft des RSHA zu erörtern und zu überlegen, ob das RSHA ohne Heydrich überhaupt die Fähigkeit habe, als unabhängige Organisation fortzubestehen. Der Reichsführer hatte beschlossen, Heydrich nicht sofort zu ersetzen; er übernahm selbst die kommissarische Leitung, aber nur mittelbar; und diese Entscheidung verlangte die Anwesenheit aller Amtschefs in Berlin, damit sie die Leitung ihrer Ämter unmittelbar im Auftrage Himmlers wahrnehmen könnten. Ohlendorfs Erleichterung war offenkundig; ohne seine Zurückhaltung aufzugeben, wirkte er fast fröhlich. Doch das fiel inmitten der allgemeinen Aufregung kaum auf: Wir standen kurz vor unserer großen Sommeroffensive Richtung Kaukasus. Die Operation Blau begann am 28. Juni mit Bocks Angriff auf Woronesh; zwei Tage später traf Ohlendorfs Nachfolger, Oberführer Dr. Walter Bierkamp, in Simferopol ein. Ohlendorf reiste nicht allein ab: Bierkamp hatte seinen eigenen Adjutanten mitgebracht, Sturmbannführer Thielecke, und er hatte vor, die meisten der dienstälteren Offiziere des Gruppenstabs, auch die Befehlshaber der Kommandos, im Laufe des Sommers ablösen zu lassen, je nach der Verfügbarkeit der Ersatzleute. Anfang Juli hielt uns Ohlendorf, in der Begeisterung über den Fall Sewastopols, eine geschliffene Abschiedsrede, in der er, mit all seiner natürlichen Würde, die ganze Größe und Schwierigkeit unseres Überlebenskampfes gegen den Bolschewismus beschwor. Auch Bierkamp, der aus Belgien und Frankreich zu uns gekommen war, zuvor aber die Kripo in seiner
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