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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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stehen, er war es, der auch regelmäßig die Besprechungen mit dem Chef des Stabes oder dem Ic der 11. Armee führte. Um Ohlendorf in dienstlichen Belangen zu sprechen, musste man sich an seinen Adjutanten wenden, Obersturmführer Heinz Schubert, einen Nachkommen des großen Komponisten undgewissenhaften, wenn auch etwas beschränkten Menschen. Daher brachte ich, wenn Ohlendorf mich empfing – wie ein Professor, der einen Studenten außerhalb des Lehrbetriebs vorlässt –, nie Dienstliches zur Sprache. Stattdessen unterhielten wir uns über theoretische oder weltanschauliche Fragen. Eines Tages schnitt ich die Judenfrage an. » Die Juden! «, rief er aus. » Verdammt solln sie sein! Sie sind noch schlimmer als die Hegelianer! « Er gönnte sich ein Lächeln, was bei ihm selten vorkam, bevor er mit seiner präzisen, melodiösen, ein wenig hellen Stimme fortfuhr. »Im Grunde hat schon Schopenhauer sehr klar erkannt, dass der Marxismus eigentlich eine jüdische Pervertierung Hegels ist. Nicht wahr?« – »Ich wollte Sie eigentlich nach Ihrer Meinung über unsere Aktion fragen«, erwiderte ich vorsichtig. »Sie möchten über die Vernichtung des jüdischen Volkes sprechen, nehme ich an?« – »Ja. Ich muss Ihnen gestehen, dass ich damit Probleme habe.« – »Damit haben alle Probleme«, erklärte er kategorisch. »Auch ich habe damit Probleme.« – »Was denken Sie also darüber?« – »Was ich denke?« Er setzte sich auf und faltete die Hände vor den Lippen; seine gewöhnlich so durchdringenden Augen schienen leer geworden zu sein. Ich konnte mich nicht daran gewöhnen, ihn in Uniform zu sehen; für mich blieb Ohlendorf ein Zivilist, und ich hatte Schwierigkeiten, ihn mir anders als in seinen unauffälligen, perfekt geschnittenen Anzügen vorzustellen. »Es ist ein Fehler«, sagte er schließlich. »Aber ein notwendiger Fehler.« Er beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch. »Ich muss Ihnen das erklären. Nehmen Sie sich Kaffee. Es ist ein Fehler, denn es ist das Ergebnis unserer Unfähigkeit, das Problem zweckmäßiger zu lösen. Aber es ist ein notwendiger Fehler, weil die Juden in der gegenwärtigen Situation eine ungeheure, akute Gefahr für uns darstellen. Wenn der Führer schließlich die radikalste Lösung befohlen hat, dann deshalb, weil er sich dazu durch die Unentschlossenheit und Unfähigkeitder Verantwortlichen gezwungen sah.« – »Was meinen Sie mit unserer Unfähigkeit, das Problem zweckmäßiger zu lösen ?« – »Ich werde es Ihnen erklären. Sie erinnern sich sicherlich, wie nach der Machtergreifung all die Verantwortungslosen und Psychopathen unter den PG’s lautstark nach radikalen Maßnahmen geschrien haben und wie alle möglichen illegalen oder schädlichen Aktionen eingeleitet wurden, denken Sie nur an die Initiativen dieses Schwachkopfs Streicher. Klugerweise hat der Führer diese unkontrollierten Aktionen unterbunden und eine legale Lösung des Problems in die Wege geleitet, was 1935 zu den insgesamt befriedigenden Rassengesetzen geführt hat. Aber selbst danach blieb das Judenproblem im Kräftefeld zwischen den kleinkarierten Bürokraten, die jeden Fortschritt in einer Papierflut ertränkten, und den Hysterikern, die ständig zu Einzelaktionen aufriefen, häufig zu ihrem eigenen Vorteil, noch weit von einer Lösung entfernt. Die Pogrome von 1938, die Deutschland so nachhaltig geschadet haben, waren eine logische Konsequenz dieses Mangels an Koordination. Erst als der SD anfing, sich ernsthaft mit dem Problem zu befassen, zeichnete sich eine Alternative dieser improvisierten Initiativen ab. Nach eingehenden Studien und Diskussionen konnten wir eine umfassende und einheitliche Politik vorschlagen: die beschleunigte Emigration. Ich denke heute noch, dass diese Lösung alle Welt zufriedengestellt hätte und dass sie sich selbst nach dem Anschluss noch durchaus hätte durchführen lassen. Die Institutionen, die geschaffen wurden, um die Emigration zu fördern, insbesondere die Verwendung unrechtmäßig erworbener jüdischer Vermögen, um die Emigration mittelloser Juden zu finanzieren, haben sich als sehr wirksam erwiesen. Sie erinnern sich vielleicht an diesen kleinen, ziemlich kriecherischen Halbösterreicher, der erst für Knochen und dann für Behrends gearbeitet hat …?« – »Sie meinen Sturmbannführer Eichmann? Durchaus, ich habe ihn letztes Jahr inKiew wiedergetroffen.« – »Richtig, genau den. Nun, er hatte in Wien eine bemerkenswerte Organisation auf

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