Die Wohlgesinnten

Theorie als jüdische Wissenschaft verunglimpft und ohne weitere Erklärung verworfen. Das ist ganz einfach absurd, es ist genau das, was man den Bolschewisten vorwirft, mit ihren eigenen Pseudowissenschaften im Dienste der Partei. Nicht anders verhält es sich mit der Sprachwissenschaft und derangeblichen Rassenanthropologie. In der Sprachwissenschaft hat die vergleichende indogermanische Grammatik beispielsweise eine Theorie der phonologischen Mutationen mit ausgezeichnetem Vorhersagewert entwickelt. Schon Bopp hat 1820 Griechisch und Latein aus dem Sanskrit hergeleitet. Ausgehend vom Mitteliranischen und anhand der gleichen festen Regeln stößt man auf gälische Wörter. Das funktioniert und ist beweisbar. Folglich ist das eine gute Theorie, obwohl sie ständig erweitert, verbessert und vervollkommnet wird. Im Vergleich dazu besitzt die Rassenanthropologie überhaupt keine Theorie. Sie postuliert Rassen, ohne sie definieren zu können, und setzt dann ohne irgendwelche Kriterien Hierarchien fest. Alle Versuche, die Rassen biologisch zu definieren, sind gescheitert. Die anthropologische Schädelkunde war ein totales Fiasko: Nach Jahrzehnten der Messungen und tabellarischen Erfassungen denkbar absurder Anhaltspunkte und Winkel ist man noch immer nicht in der Lage, mit dem geringsten Grad von Sicherheit einen jüdischen von einem deutschen Schädel zu unterscheiden. Die Mendel’sche Vererbungslehre liefert zwar gute Ergebnisse für einfache Organismen, doch vom Habsburger Kinn abgesehen, ist man noch weit davon entfernt, sie auf den Menschen anwenden zu können. All das ist so unstrittig, dass man sich bei der Formulierung unserer berühmten Rassengesetze auf die Religion der Großeltern berufen musste! Es wurde behauptet, die Juden des letzten Jahrhunderts wären reinrassig gewesen, doch das ist eine vollkommen willkürliche Festlegung. Selbst Sie müssen das erkennen. Und was einen reinrassigen Deutschen ausmacht, weiß niemand, ob das Ihrem Reichsführer SS nun passt oder nicht. Daher hat die Rassenanthropologie – unfähig, irgendeine Definition vorzulegen – einfach auf die so viel beweisbareren Kategorien der Sprachwissenschaftler zurückgegriffen. Schlegel war fasziniert von Humboldts und Bopps Arbeiten und leiteteaus der Existenz einer indoiranischen Sprache, der angeblichen Ursprache, die Idee eines entsprechenden Urvolkes ab, das er nach einem Begriff von Herodot arisch nannte. Gleiches gilt für die Juden: Sobald die Sprachwissenschaftler die so genannte semitische Sprachgruppe entdeckt hatten, bemächtigten sich die Rassenkundler dieser Idee; allerdings wenden sie sie vollkommen unlogisch an, denn Deutschland bemüht sich um gute Beziehungen zu den Arabern, und der Führer gibt einen offiziellen Empfang für den Großmufti von Jerusalem! Als Träger der Kultur kann die Sprache Einfluss auf das Denken und Verhalten haben. Humboldt hatte das schon vor langer Zeit verstanden. Aber die Sprache kann übertragen werden, und die Kultur ebenfalls, wenn auch viel langsamer. In Chinesisch-Turkestan erinnert das körperliche Erscheinungsbild der turksprachigen Moslems aus Urumtschi oder Kaschgar an, sagen wir, Iraner: Man könnte sie für Sizilianer halten. Sicherlich sind es Nachkommen von Völkern, die von Westen eingewandert sind und ursprünglich eine indoiranische Sprache hatten. Dann sind sie von einem Turkvolk unterworfen und assimiliert worden, den Uiguren, von denen sie die Sprache und einen Teil des Brauchtums übernahmen. Heute bilden sie eine eigene kulturelle Gruppe, unterschieden, beispielsweise, von Turkvölkern wie den Kasachen und Kirgisen und auch den islamisierten Chinesen, den so genannten Hui, oder indoiranischen Moslems wie den Tadshiken. Doch jeder Versuch, sie anders als durch ihre Sprache, ihre Religion, ihr Brauchtum, ihr Verbreitungsgebiet, ihre wirtschaftlichen Gewohnheiten oder ihr eigenes Identitätsgefühl zu definieren, wäre vollkommen sinnlos. Und bei alldem geht es um Erworbenes, nicht um Angeborenes. Erblich ist ein Hang zu Herzerkrankungen; falls so etwas wie ein Hang zum Verrat vererbt wird, so ist das jedenfalls noch nie bewiesen worden. In Deutschland führen Dummköpfe Studien an Katzen mit abgeschnittenen Schwänzendurch, um zu beweisen, dass ihre Jungen ohne Schwanz geboren werden; und da sie Träger des Goldenen Parteiabzeichens sind, bekommen sie einen Lehrstuhl! In der UdSSR dagegen sind trotz des politischen Drucks die sprachwissenschaftlichen Arbeiten von Marr und