Die Wohlgesinnten
Ordshonikidse kamen unsere Divisionen nicht weiter; die Front verlief von einem Gebiet südlich Tschegems und Naltschiks nach Tschikola und Gisel, wandte sich dann, dem Terek folgend, nach Norden bis Malgobek; rasch eroberte ein sowjetischer Gegenangriff Gisel zurück. Dann kam der Paukenschlag. Ich erfuhr es erst nach und nach, weil die Abwehroffiziere mir den Zugang zum Kartenzimmer verwehrten und sich weigerten, mir Einzelheiten mitzuteilen. »Es tut mir sehr leid«, entschuldigte sich Reuter. »Ihr Kommandeur muss das mit der Heeresgruppe klären.« Am Abendgelang es mir, in Erfahrung zu bringen, dass die Sowjets eine Gegenoffensive im Bereich der Heeresgruppe B begonnen hatten; aber an welcher Stelle und in welchem Umfang, das bekam ich nicht heraus: Die Offiziere des AOK machten finstere und angespannte Gesichter und weigerten sich hartnäckig, mit mir zu sprechen. Leetsch versicherte mir am Telefon, die Heeresgruppe reagiere ebenso; der Gruppenstab wusste nicht mehr als ich und forderte mich auf, jede neue Information sofort weiterzuleiten. An dieser Haltung änderte sich bis zum folgenden Tag nichts, und ich überwarf mich mit Reuter, der mich kühl wissen ließ, dass das AOK keineswegs verpflichtet sei, die SS über Vorgänge außerhalb seines Operationsgebietes zu informieren. Doch schon machten Gerüchte die Runde, Latrinenparolen, die die Offiziere nicht mehr unterdrücken konnten; ich hielt mich an die Fahrer, die Melder und die Unteroffiziere und vermochte mir nach einigen Stunden durch Informationsvergleich eine Vorstellung vom Ausmaß der Gefahr zu machen. Noch einmal rief ich Leetsch an, dem dieselben Informationen vorzuliegen schienen; doch wie die Wehrmacht darauf reagieren wollte, konnte niemand sagen. Die beiden rumänischen Frontabschnitte – westlich von Stalingrad am Don und südlich in der Kalmückensteppe – brachen zusammen, und die Roten beabsichtigten allem Anschein nach, die 6. Armee im Rücken zu fassen. Woher hatten sie nur die erforderlichen Kräfte genommen? Es gelang mir nicht herauszufinden, wo diese standen, die Situation entwickelte sich zu rasch, selbst für die Küchenbullen, aber es schien dringend geboten, dass die 6. Armee eine Absetzbewegung einleitete, um einer Einschließung zu entgehen; doch die 6. Armee rührte sich nicht vom Fleck. Am 21. November wurde Generaloberst von Kleist zum Generalfeldmarschall befördert und zum Oberbefehlshaber der Heeresgruppe A ernannt: Offenbar fühlte sich der Führer überfordert. Generaloberst von Mackensennahm von Kleists Platz an der Spitze der 1. Panzerarmee ein. Dies teilte mir Gilsa offiziell mit; er machte einen verzweifelten Eindruck und deutete an, dass die Lage katastrophal werde. Am folgenden Tag, einem Sonntag, vereinigten sich die beiden Backen der sowjetischen Zange bei Kalatsch am Don, damit waren die 6. Armee und Teile der 4. Panzerarmee eingekesselt. Die Gerüchte sprachen von einem Desaster, massiven Verlusten, Chaos; doch jede etwas genauere Information widersprach der vorhergehenden. Am Abend dieses Tages führte Reuter mich endlich zu Gilsa, der mir einen raschen Lagebericht anhand der Karten gab. »Die Entscheidung, keinen Ausbruchsversuch der 6. Armee zuzulassen, wurde vom Führer persönlich getroffen«, ließ er mich wissen. Die eingeschlossenen Divisionen saßen jetzt in einem riesigen »Kessel«, wie man sagt, der zwar von unseren Linien abgeschnitten war, aber von Stalingrad quer durch die Steppe beinahe den Don erreichte. Die Lage war beunruhigend, allerdings übertrieben die Gerüchte gewaltig: Die deutschen Kräfte hatten nur geringe Menschen- und Materialverluste und bewahrten ihren Zusammenhalt; außerdem zeigte die Erfahrung von Demjansk im Vorjahr, dass sich ein Kessel, aus der Luft mit Nachschub versorgt, endlos halten konnte. »Man wird bald einen Entsatzversuch unternehmen«, schloss von Gilsa. Auf einer von Bierkamp für den folgenden Tag angesetzten Dienstbesprechung wurde diese optimistische Einschätzung bekräftigt: Reichsmarschall Göring habe, so Korsemann, dem Führer sein Wort gegeben, dass die Luftwaffe in der Lage sei, die 6. Armee zu versorgen; General Paulus habe sich zu seinem Stab nach Gumrak begeben, um die Kampfhandlungen aus dem Kessel heraus zu leiten; außerdem sei Generalfeldmarschall von Manstein aus Witebsk zurückbeordert worden, um eine neue Heeresgruppe Don zu bilden und einen Durchbruch zur eingekesselten Truppe zu versuchen. Besonders diese letzte Nachricht verbreitete
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