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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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»Ich werde wohl auch einen Experten anfordern. Einstweilen habe ich den hier anwesenden Hauptsturmführer Dr. Aue mit unseren Nachforschungen betraut, unseren Fachmann für kaukasische Völkerschaften.« Ich neigte höflich den Kopf. »Sehr schön, sehr schön«, stimmte Köstring zu. »Dann kommen wir also wieder zusammen, wenn die verschiedenen Untersuchungen zu Ergebnissen geführt haben? Dann können wir die Angelegenheit hoffentlich abschließen. Meine Herren, ich danke Ihnen für Ihr Kommen.« Unter allgemeinem Stühlerücken löste sich die Versammlung auf. Bräutigam hatte Köstring am Arm zur Seite gezogen und diskutierte mit ihm. Nach und nach verließen die Offiziere den Raum, doch Bierkamp, die Mütze in der Hand, blieb noch mit Leetsch und Eckhardt zurück: »Sie fahren schweres Geschütz auf. Da müssen auch wir einen guten Spezialisten auftreiben, sonst sind wir im Handumdrehen ausgebootet.« – »Ich werde den Brigadeführer fragen«, sagte Eckhardt. »Vielleicht können wir jemanden in der Umgebung des Reichsführers in Winniza finden. Sonst müssen wir ihn aus Deutschland kommen lassen.«
    Voss war laut Gilsa noch in Naltschik; ich musste ihn sprechen und fuhr bei der ersten sich bietenden Gelegenheitdorthin. Von der Malka an bedeckte eine dünne Schneeschicht die Felder; vor dem Baksan verdüsterten Schneeböen den Himmel und trieben große Flockenwirbel in das Licht der Scheinwerfer. Berge, Felder, Bäume, alles war verschwunden; entgegenkommende Fahrzeuge tauchten wie brüllende Ungeheuer auf, die aus tief im Schneesturm verhüllten Kulissen kamen. Ich hatte nur einen Wollmantel aus dem Vorjahr, der noch ausreichte, aber nicht mehr lange. Ich musste daran denken, mir warme Kleidung zu besorgen. In Naltschik traf ich Voss inmitten seiner Bücher in der Ortskommandantur an, wo er sein Büro eingerichtet hatte; er führte mich zu einem Muckefuck in die Messe, an einen kleinen Tisch mit Resopalplatte und einer Vase voll Kunststoffblumen. Der Kaffee war scheußlich, und ich versuchte, ihn in Milch zu ertränken; Voss schien nicht darauf zu achten. »Sind Sie nicht ziemlich enttäuscht über das Scheitern der Offensive?«, fragte ich ihn. »Wegen Ihrer Recherchen, meine ich.« – »Schon ein wenig. Aber ich habe hier genug zu tun.« Er erschien mir reserviert, etwas zerstreut. »Hat General Köstring Sie schon gebeten, in dem Untersuchungsausschuss über die Bergjuden mitzuarbeiten?« – »Ja. Und ich habe gehört, dass Sie die SS vertreten werden.« Ich lachte trocken: »Mehr oder weniger. Oberführer Bierkamp hat mich offiziell zum Spezialisten für kaukasische Angelegenheiten ernannt. Das ist Ihre Schuld, nehme ich an.« Er lachte und trank einen Schluck Kaffee. Mannschaften und Offiziere, teilweise noch voller Schnee, kamen und gingen oder unterhielten sich halblaut an den anderen Tischen. »Und was halten Sie von dem Problem?«, fuhr ich fort. »Was ich davon halte? In dieser Form aufgeworfen, ist es absurd. Das Einzige, was wir über diese Menschen sagen können, ist, dass sie eine iranische Sprache sprechen, die mosaische Religion praktizieren und nach den Sitten der kaukasischen Bergvölker leben. Das ist alles.« – »Ja, aber sie müssen doch irgendeine Abstammung haben.«Er zuckte die Achseln: »Jeder hat seine Abstammung, meist eine erträumte. Wir haben darüber schon gesprochen. Bei den Taten verliert sie sich im Dunkel der Zeiten und Mythen. Selbst wenn es wirklich Juden aus Babylonien wären – sagen wir sogar, einer der Verlorenen Stämme –, hätten sie sich mittlerweile so mit den hiesigen Völkern vermischt, dass das nichts mehr zu bedeuten hätte. In Aserbaidshan haben wir beispielsweise moslemische Taten. Sind das Juden, die den Islam angenommen haben? Oder haben diese hypothetischen eingewanderten Juden die Frauen mit einem iranischen heidnischen Stamm getauscht, deren Nachkommen später zur einen oder anderen Buchreligion übergetreten sind? Das lässt sich unmöglich klären.« – »Trotzdem muss es doch wissenschaftliche Anhaltspunkte geben, die eine Unterscheidung ermöglichen?« – »Die gibt es zuhauf, aber man kann alles Mögliche aus ihnen herauslesen. Nehmen Sie ihre Sprache. Ich habe mich schon mit ihnen unterhalten und kann ihre Sprache ziemlich genau einordnen. Zumal ich ein Buch von Wsewolod Miller zu dem Thema entdeckt habe. Es handelt sich im Wesentlichen um einen westiranischen Dialekt mit einem hebräischen und türkischen Einschlag. Der hebräische

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