Die Wohlgesinnten
wir nicht schon auf der Krim mit einem ähnlichen Fall zu tun?« – »Mit Sicherheit, Herr General«, erwiderte Bierkamp knapp. »Das war zur Zeit meines Vorgängers. Ich glaube, dass Hauptsturmführer Aue Ihnen die Einzelheiten erläutern kann.« – »Gewiss, Oberführer. Neben dem Fall der Karaiten, die 1937 vom Innenministerium rassisch als Nichtjuden anerkannt wurden, ist es auf der Krim auch zu einer Kontroverse über die Krimtschaken gekommen, die sich als ein spät zum Judentum konvertiertes turkstämmiges Volk bezeichneten. Unsere Fachleute haben eine Untersuchung durchgeführt und sind zu dem Schluss gekommen, dass es sich in Wirklichkeit um italienische Juden handelte, die um das 15. oder 16. Jahrhundert auf die Krim gekommen sind und erst dann türkisiert wurden.« – »Und was hat man mit ihnen gemacht?«, fragte Köstring. »Sie sind als Juden eingestuft und als solche behandelt worden, Herr General.« – »Verstehe«, sagte er sanft. »Sie gestatten«, Bierkamp meldete sich zu Wort, »wir haben auch auf der Krim mit Bergjuden zu tun gehabt. Es handelte sich um einen jüdischen Kolchos, im Gebiet von Freidorf bei Eupatoria. Er war von Bergjuden aus Dagestan bewohnt, die in den dreißiger Jahren mit Unterstützung von Joint, der bekannten jüdischen Hilfsorganisation, dorthin umgesiedelt wurden. Nach einer Untersuchung sind sie im März dieses Jahres erschossen worden.« – »Das war vielleicht eine etwas voreilige Aktion«, gab Bräutigam zu bedenken. »Wie die Liquidation des Bergjuden-Kolchos bei Mosdok.« – »Ach ja, richtig«, sagte Köstring mit der Miene eines Mannes, der sich einer Einzelheit entsinnt, »haben Sie sich dazu sachkundig machen können, Oberführer?« Bierkamp antwortete Köstring, ohne Bräutigams Bemerkungzu beachten: »Ja, Herr General. Leider bringen unsere Akten wenig Klarheit, denn als das Sonderkommando im Zuge der Kampfhandlungen auf dem Vormarsch nach Mosdok kam, sind die Aktionen teilweise nicht mit der wünschenswerten Genauigkeit dokumentiert worden. Nach Auskunft von Sturmbannführer Persterer ist auch das Kommando Bergmann von Professor Oberländer in dieser Region sehr aktiv gewesen. Vielleicht waren die das.« – »Dieses Bataillon untersteht unserem Oberbefehl«, erwiderte der AO Noeth. »Davon wüssten wir.« – »Wie hieß das Dorf?«, fragte Köstring. »Bogdanowka«, erwiderte Bräutigam, seine Notizen zu Rate ziehend. »Nach Auskunft von Herrn Schadow sollen vierhundertzwanzig Dorfbewohner getötet und in Brunnen geworfen worden sein. Das waren alles Verwandte der Bergjuden-Sippe von Naltschik, mit Namen wie Mischijew, Abramow, Schamiljew; ihr Tod hat zu großen Unruhen in Naltschik geführt, nicht nur bei den Bergjuden, sondern auch bei den Kabardinern und Balkaren.« – »Leider ist Oberländer abgereist«, sagte Köstring mit distanzierter Miene. »Daher können wir ihn nicht mehr fragen.« – »Selbstverständlich kann es auch mein Kommando gewesen sein«, räumte Bierkamp ein. »Schließlich waren die Befehle eindeutig. Aber ich bin mir nicht sicher.« – »Gut«, sagte Köstring. »Es spielt auch keine Rolle. Wichtig ist jetzt, dass wir zu einem Entschluss bezüglich der Bergjuden von Naltschik kommen; von denen gibt es …« Er wandte sich an Bräutigam. »Sechs-bis siebentausend«, ergänzte dieser. »Richtig«, fuhr Köstring fort. »Einem Entschluss also, der ausgewogen und wissenschaftlich begründet ist, der aber auch die Sicherheit unseres rückwärtigen Gebietes in Rechnung stellt und« – er neigte den Kopf in Richtung Bierkamp – »unseren Willen zeigt, eine Politik weitestmöglicher Zusammenarbeit mit den einheimischen Völkern zu verfolgen. Die Ansicht unserer wissenschaftlichen Kommission wird also von großerBedeutung sein.« Von Bittenfeld blätterte in einem Stoß Papiere: »Wir haben hier an Ort und Stelle bereits den Leutnant Dr. Voss, der in den wissenschaftlichen Kreisen des Reiches trotz seiner Jugend bereits als Autorität anerkannt wird. Außerdem lassen wir noch einen Anthropologen oder Ethnologen kommen.« – »Ich habe bereits mit meinem Ministerium Rücksprache gehalten«, meldete sich Bräutigam zu Wort. »Man wird uns einen Spezialisten aus Frankfurt schicken, vom Institut für Judenfragen . Außerdem bemüht man sich um jemanden aus der Forschungsabteilung Judenfrage von Dr. Walter Frank in München.« – »Ich habe bereits um die Meinung der wissenschaftlichen Abteilung des RSHA gebeten«, sagte Bierkamp.
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