Die Wohlgesinnten
großeErleichterung: Seit der Einnahme von Sewastopol galt Manstein als der beste Stratege der Wehrmacht; wenn jemand die Lage in den Griff bekommen konnte, dann er.
Inzwischen traf der benötigte Rasseexperte ein. Da der Reichsführer Ende Oktober Winniza zusammen mit dem Führer verlassen hatte und nach Ostpreußen zurückgekehrt war, hatte sich Korsemann direkt an Berlin gewandt, und das RuSHA hatte sich bereit erklärt, eine Frau zu schicken, Dr. Weseloh, die auf iranische Sprachen spezialisiert sei. Bierkamp war äußerst verärgert, als er die Nachricht erhielt: Er hatte einen Rasseexperten vom Amt IV gewollt, aber dort war keiner verfügbar. Ich erklärte ihm, um ihn zu beruhigen, dass sich ein sprachwissenschaftlicher Ansatz durchaus als fruchtbar erweisen könnte. Dr. Weseloh hatte eine Kuriermaschine zur Verfügung gestanden, die über Kiew bis Rostow flog, sie hatte ihre Reise aber von dort mit dem Zug fortsetzen müssen. Ich holte sie am Bahnhof in Woroschilowsk ab, wo ich sie in Gesellschaft des berühmten Schriftstellers Ernst Jünger antraf, mit dem sie sich angeregt unterhielt. Jünger, etwas erschöpft, aber immer noch ausgesprochen fesch, trug die Felduniform eines Hauptmanns des Heeres; Weseloh war in Zivil, sie hatte eine Jacke und einen groben grauen Leinenrock an. Sichtlich stolz auf ihre neue Bekanntschaft, stellte sie uns einander vor: Zufällig war sie in Kropotkin in dem Abteil gelandet, in dem Jünger saß, und hatte ihn sogleich erkannt. Ich schüttelte ihm die Hand und versuchte, ihm in ein paar Worten zu erklären, welche Bedeutung seine Bücher, vor allem Der Arbeiter , für mich gehabt hatten, doch schon umringten ihn die Offiziere der Heeresgruppe und zogen ihn mit sich fort. Bewegt blickte Weseloh ihm nach und winkte. Sie war eher mager, hatte kaum Busen, aber enorm ausladende Hüften; sie hatte ein längliches Pferdegesicht, blondes Haar, das zu einem Knoten zusammengebunden war, und trug eine Brille, hinter der sichetwas verwirrte, aber auch gierige Augen zeigten. »Ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich keine Uniform trage«, sagte sie, nachdem wir einen deutschen Gruß gewechselt hatten. »Ich hatte den Befehl, rasch aufzubrechen, sodass ich keine Zeit mehr hatte, mir eine anfertigen zu lassen.« – »Das ist nicht weiter schlimm«, erwiderte ich freundlich, »aber Sie werden frieren. Ich besorge Ihnen einen Mantel.« Es regnete, und die Straßen waren voller Schlamm; unterwegs erging sie sich über Jünger, der auf Inspektionsreise aus Frankreich gekommen war; sie hatten sich über persische Epigraphen unterhalten, und Jünger hatte ihr zu ihrer Gelehrsamkeit gratuliert. In der Dienststelle machte ich sie mit Dr. Leetsch bekannt, der ihr den Zweck ihres Einsatzes erklärte; nach dem Mittagessen vertraute er sie mir an und beauftragte mich, ihr bei der Arbeit zu helfen, mich um sie zu kümmern und sie in Pjatigorsk unterzubringen. Auf dem Weg dorthin erzählte sie mir wieder von Jünger, dann fragte sie mich nach der Lage in Stalingrad: »Ich habe viele Gerüchte gehört. Wie steht es dort tatsächlich?« Ich teilte ihr das wenige mit, das ich wusste. Sie hörte aufmerksam zu und sagte dann ehrlich überzeugt: »Ich bin sicher, dass das ein genialer Plan unseres geliebten Führers ist, um die Feindkräfte in eine Falle zu locken und ein für alle Mal zu vernichten.« – »Sie haben sicherlich Recht.« In Pjatigorsk brachte ich sie in einem der Sanatorien unter, dann zeigte ich ihr meine Dokumentation und die Berichte. »Es gibt auch viele russische Quellen«, erklärte ich ihr. »Leider lese ich nicht Russisch«, erwiderte sie kühl. »Aber was Sie da haben, müsste genügen.« – »Dann ist es ja gut. Wenn Sie fertig sind, fahren wir zusammen nach Naltschik.«
Dr. Weseloh trug keinen Ehering, schien aber kein Auge für die gut aussehenden Soldaten um sie herum zu haben. Und doch, trotz ihres wenig einnehmenden Äußeren und ihrer allzu forschen, ungeschickten Bewegungen bekam ichin den folgenden zwei Tagen mehr Besuch als üblich: Nicht nur Abwehroffiziere, sondern auch Generalstäbler, die es normalerweise für unter ihrer Würde hielten, mit mir zu sprechen, fanden plötzlich unabweisbare Gründe, mich aufzusuchen. Nicht einer versäumte es, unsere Spezialistin zu begrüßen, die an einem Schreibtisch saß und in ihre Papiere vertieft blieb, den Gruß der Besucher kaum mit einer zerstreuten Äußerung oder einem Kopfnicken erwidernd, es sei denn, es handelte sich um
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