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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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repräsentiert, er hat große Reden geschwungen und sie durch die Kolonka geführt.« – »Die Kolonka ?«, fragte Weseloh. »Was ist das?« – »Das Judenviertel. Es liegt etwas südlich vom Zentrum, zwischen Bahnhof und Fluss. Wir zeigen es Ihnen. Meinen Informanten zufolge«, fügte er, an mich gewandt, hinzu, »hat Schabajew alle Teppiche, Betten und Sessel aus den Häusern entfernen lassen, um ihren Reichtum zu verheimlichen, und die Experten mit Schaschliks bewirten lassen. Die haben überhaupt nichts gemerkt.« – »Warum haben Sie nichts unternommen?«, fragte Weseloh. »Das ist nicht ganz so einfach, Fräulein Doktor«, erwiderte Reinholz. »Eine Frage der Zuständigkeit. Uns ist im Augenblick untersagt, uns in die Angelegenheiten dieser Juden einzumischen.« – »Das mag ja sein, wie es will«, erwiderte sie verkniffen, »aber seien Sie versichert, dass ich nicht auf solche Machenschaften hereinfallen werde.«
    Reinholz schickte zwei Orpos los, die Schabajew holen sollten, und setzte Weseloh Tee vor; ich rief die Ortskommandantur an, um mich mit Voss abzustimmen, aber er war unterwegs; man versprach mir, er werde zurückrufen, wenn er wieder da sei. Reinholz, der wie alle Welt von Jüngers Eintreffen gehört hatte, fragte Weseloh nach den politischen Überzeugungen des Schriftstellers; Weseloh hatte offensichtlich keine Ahnung, meinte aber, gehört zu haben, dass er nicht in der Partei sei. Wenig später erschien Schabajew: »Markel Awgadulowitsch«, stellte er sich vor. Er trug eine traditionelle Gebirgstracht, einen imposanten Bart und eine entschlossene, selbstsichere Miene zur Schau. Sein Russisch schien mir einen starken Akzent zu haben, doch der Dolmetscher hatte keine Mühe mit dem Übersetzen. Weseloh ließ ihn Platz nehmen und begann eine Unterhaltung mit ihm in einer Sprache, die keiner von uns verstand. »Ich kenne Dialekte, die dem Tatischen mehr oder weniger ähnlich sind«, sagte sie. »Ich werde mich auf diese Weise mit ihm unterhalten und Ihnen später berichten.« Ich ließ die beiden allein und ging mit Reinholz in ein anderes Zimmer, um dort den Tee zu trinken. Er berichtete über die örtliche Lage; die sowjetischen Erfolge bei Stalingrad hatten bei den Kabardinern und Balkaren große Unruhe ausgelöst, und die Aktivitäten der Partisanen im Gebirge verstärkten sich wieder. Die Heeresgruppe plante, schon bald die Autonomie des Bezirks auszurufen, die Kolchose und Sowchose in der Gebirgsregion abzuschaffen (die in den Tälern des Baksan und Terek gelegenen und als russisch geltenden sollten nicht aufgelöst werden) und die Ländereien unter den Einheimischen aufzuteilen, um die Gemüter zu beruhigen. Nach anderthalb Stunden stieß Weseloh wieder zu uns: »Der Alte will uns ihr Viertel und sein Haus zeigen. Kommen Sie mit?« – »Gern. Und Sie?«, fragte ich, an Reinholz gewandt. »Ich bin schon dort gewesen. Das Essen ist da immer bestens.« Er nahm dreiOrpos als Begleitung mit und brachte uns mit seinem Fahrzeug zu Schabajew. Das Haus, ein Ziegelbau mit großem Innenhof, bestand aus großen kahlen Räumen ohne verbindende Flure. Nachdem wir gebeten worden waren, unsere Stiefel auszuziehen, ließ man uns auf schäbigen Kissen Platz nehmen, und zwei Frauen breiteten ein großes Wachstuch vor uns auf dem Boden aus. Mehrere Kinder hatten sich in den Raum geschlichen und kauerten sich in eine Ecke, von wo aus sie uns mit großen Augen, flüsternd und kichernd, betrachteten. Schabajew setzte sich uns gegenüber auf ein Kissen, während eine Frau seines Alters, den Kopf eng von einem farbigen Tuch verhüllt, Tee einschenkte. Es war kalt in dem Zimmer, ich behielt meinen Mantel an. Schabajew sagte ein paar Worte in seiner Sprache. »Er entschuldigt sich für den ungebührlichen Empfang«, übersetzte Weseloh, »aber sie haben uns nicht erwartet. Seine Frau wird uns Tee zubereiten. Außerdem hat er einige Nachbarn eingeladen, mit denen wir uns unterhalten können.« – »Tee«, erläuterte Reinholz, »das heißt essen bis zum Platzen. Ich hoffe, Sie haben Hunger mitgebracht.« Ein kleiner Junge trat ein und wechselte ein paar rasche Worte mit Schabajew, bevor er wieder hinauslief. »Das habe ich nicht verstanden«, sagte Weseloh erregt und begann einen kurzen Wortwechsel mit Schabajew. »Er sagt, es sei ein Nachbarskind gewesen und sie hätten Kabardinisch gesprochen.« Aus der Küche brachte ein sehr hübsches junges Mädchen in Umhang und Kopftuch mehrere flache große runde Brote, die

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