Die Wohlgesinnten
ich mich gründlich.
Die Unterredung war kurz. Bierkamp bot mir keinen Platz an, ich stand stramm, während er mir ein Blatt Papier reichte. Ich starrte es verständnislos an: »Was ist das?«, fragte ich. »Ihre Versetzung. Der Beauftragte für das Feldpolizeiwesen in Stalingrad hat dringend um einen SD-Offizier gebeten. Sein Mann ist vor zwei Wochen gefallen. Ich habe Berlin informiert, dass der Gruppenstab den Personalabbau verkraften könne, und sie haben dort Ihrer Versetzung zugestimmt. Mein Glückwunsch, Hauptsturmführer. Das ist eine große Chance für Sie.« Ich verharrte in Grundstellung: »Darf ich fragen, warum Sie mich vorgeschlagen haben, Oberführer?« Obwohl Bierkamp seine unfreundliche Miene beibehielt, lächelte er leicht: »In meinem Stab möchte ich Offiziere um mich haben, die verstehen, was man von ihnen erwartet, ohne dass man es ihnen in allen Einzelheiten auseinandersetzen muss; sonst könnte man die Arbeit auch gleich selbst machen. Ich hoffe, die sicherheitsdienstliche Arbeit in Stalingrad wird Ihnen eine nützliche Lehre sein. Gestatten Sie mir im Übrigen noch eine Bemerkung: Ihr persönliches Verhalten war so zweifelhaft, dass es zu unangenehmen Gerüchten innerhalb der Gruppe führte. Einige Kameraden wollten Sie sogar vor das SS-Gericht bringen. Ich gebe aus Prinzip nichts auf solche Gerüchte, vor allem wenn sie einem politisch so geschulten Offizier wie Ihnen gelten, aber ich werde nicht dulden, dass ein Skandal den Ruf meiner Gruppe schädigt. Daher rate ich Ihnen, in Zukunft darauf zu achten, dass Ihr Verhalten keinen Anlass zu solchem Klatsch gibt. Wegtreten!« Wir wechselten einen deutschen Gruß, und ich ging. Auf dem Korridor kam ich an Prills Dienstzimmer vorbei; die Tür stand offen, und ich sah, dass er mich mit einem schmalen Lächeln anschaute. Ich blieb auf der Schwellestehen und schaute ihn meinerseits an, wobei sich auf meinem Gesicht ein strahlendes Lächeln, ein Kinderlächeln, ausbreitete. Nach und nach erlosch sein Lächeln, und er betrachtete mich trübselig, perplex. Ich sagte nichts, lächelte einfach weiter. Noch immer hielt ich meine Marschpapiere in der Hand. Schließlich ging ich hinaus.
Es war noch immer kalt, aber mein pelzgefütterter Mantel hielt mich warm, und ich ging ein paar Schritte zu Fuß. Der schlecht geräumte Schnee war überfroren und rutschig. An der Straßenecke, in der Nähe des Hotels Kawkas , wurde ich Zeuge eines merkwürdigen Schauspiels. Deutsche Soldaten kamen aus einem Gebäude und trugen Schaufensterpuppen, die in napoleonischen Uniformen steckten: Husaren mit Tschakos und cochenilleroten, pistaziengrünen oder narzissengelben Dolmans, Dragoner in Grün mit amarantenen Rabatten, Gardisten in blauen Mänteln mit Goldknöpfen, Hannoveraner in Krebsrot oder einen polnischen Ulanen ganz in Weiß mit einer roten Halsbinde. Die Soldaten stellten die Puppen aufrecht auf beplante Lkws, wo andere sie mit Seilen festschnürten. Ich trat auf den Feldwebel zu, der die Arbeit beaufsichtigte: »Was geht hier vor?« Er grüßte und erwiderte: »Das ist das Heimatmuseum, Herr Hauptsturmführer. Wir verlegen die Sammlung ins Reich. Befehl der Heeresgruppe.« Ich sah ihn einen Augenblick lang an, dann kehrte ich zu meinem Fahrzeug zurück, die Marschpapiere noch immer in der Hand. Finita la commedia .
COURANTE
Ich bestieg den Zug nach Minwody und machte mich auf den mühsamen Weg nach Norden. Die Verbindungen waren sehr schlecht, mehrfach musste ich umsteigen. In den schmutzigen Wartesälen drängten sich Hunderte von Soldaten, sie standen oder hockten auf ihrem Marschgepäck und warteten darauf, dass man ihnen Suppe oder ein bisschen Muckefuck reichte oder sie weiter ins Ungewisse beförderte. Ein Stück Bank wurde mir freigemacht, und dort blieb ich zusammengesackt sitzen, bis ein übermüdeter Stationsvorsteher mich wachrüttelte. In Salsk wies man mir schließlich einen Zug zu, der mit Männern und Material für die Panzerarmee Hoth aus Rostow kam. Diese Einheiten waren in aller Eile zusammengewürfelt worden, mehr oder minder wahllos: Urlauber, die auf dem langen Weg ins Reich bereits bis Lublin oder gar Posen gekommen, jedoch unterwegs abgefangen und wieder nach Russland zurückbeordert worden waren, viel zu alte Männer, die eingezogen und einer beschleunigten, verkürzten Grundausbildung unterzogen, Rekonvaleszente, die aus den Lazaretten geholt worden waren, vereinzelte Angehörige der 6. Armee, die sich nach dem Debakel außerhalb
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