Die Wohlgesinnten
Menschen schauten und hörten zu, ein wenig erstaunt, selbst diejenigen, die ihn eben noch so unfreundlich behandelt hatten, waren ergriffen von der einfachen unerwarteten Schönheit dieses Liedes. Von der anderen Seite näherten sich, hintereinander herwatschelnd wie fette Gänse auf einem Dorfweg, drei korpulente Kolchosbäuerinnen, einen gestrickten Wollschal wie ein großes weißes Dreieck vor dem Gesicht. Der Akkordeonspieler stand ihnen im Weg, und sie flossen um ihn herum wie die Meeresströmung um eine Klippe, während er sich, ohne sein Lied zu unterbrechen, leicht wegdrehte, dann setzten sie ihren Weg entlang dem Zug fort, und die Menge rückte wieder zusammen, um dem Musikanten zu lauschen; hinter mir auf dem Gang waren mehrere Soldaten aus ihren Abteilen getreten, um ihm zuzuhören. Der Gesang schien nicht enden zu wollen, nach jeder Strophe nahm er eine neue in Angriff, und man wollte auch nicht, dass es endete. Irgendwann war es doch vorbei, und ohne abzuwarten, ob man ihm noch mehr Geld gab, setzte er seinen Weg in Richtung des nächsten Waggons fort, und die Menschen untermir zerstreuten sich, um ihre unterbrochenen Tätigkeiten wieder aufzunehmen oder weiter zu warten.
Schließlich durften wir aussteigen. Auf dem Bahnsteig prüften die Feldgendarmen die Reisepapiere und dirigierten die Männer zu den einzelnen Sammelpunkten. Sie schickten mich ins Bahnhofsbüro, wo ein Bahnbeamter mich mit müdem Blick musterte: »Stalingrad? Keine Ahnung. Das hier ist die Armee Hoth.« – »Mir wurde gesagt, ich solle mich hier melden, dann würde ich zu einem der Flugplätze gebracht.« – »Die Flugplätze liegen am anderen Ufer des Don. Erkundigen Sie sich bei der Armee.« Ein weiterer Feldgendarm ließ mich einen Lkw besteigen, der zum AOK fuhr. Dort fand ich endlich einen Generalstäbler, der einigermaßen Bescheid wusste: »Flüge nach Stalingrad gehen von Tazinskaja ab. Doch normalerweise fliegen die Offiziere, die zur 6. Armee müssen, von Nowotscherkassk, wo sich das Oberkommando der Heeresgruppe Don befindet. Wir haben so alle drei Tage eine Verbindung nach Tazinskaja. Ich verstehe nicht, warum Sie hierhergeschickt wurden. Jedenfalls werden wir versuchen, Transportmittel für Sie aufzutreiben.« Er brachte mich in einem Raum mit mehreren doppelstöckigen Betten unter. Einige Stunden später tauchte er wieder auf. »Geritzt. Tazinskaja schickt Ihnen einen Storch. Kommen Sie.« Ein Fahrer brachte mich aus dem Ort hinaus zu einer im Schnee provisorisch angelegten Rollbahn. Wieder wartete ich, dieses Mal in einer ofenbeheizten Hütte, und trank Muckefuck mit einigen Luftwaffenunteroffizieren. Die Versorgung Stalingrads aus der Luft machte ihnen große Sorgen: »Wir verlieren fünf bis zehn Maschinen am Tag, und in Stalingrad sind sie offenbar am Verhungern. Wenn General Hoth der Durchbruch nicht gelingt, sind sie erledigt.« – »Wenn ich Sie wäre«, fügte ein anderer kameradschaftlich hinzu, »hätte ich es nicht so eilig, dahin zu kommen.« – »Können Sie sich nicht einfach verlaufen?«, schlug der erste noch ein bisschenkühner vor. Dann setzte der kleine Fieseler Storch schwankend auf. Der Pilot machte sich noch nicht einmal die Mühe, den Motor abzustellen, er vollführte eine halbe Wendung am Ende der Piste, um seine Maschine in Startposition zu bringen. Einer der Flieger half mir, mein Gepäck zu tragen. »Wenigstens sind Sie warm angezogen«, schrie er mir zu, das Dröhnen des Propellers übertönend. Ich kletterte an Bord und setzte mich hinter den Piloten. »Vielen Dank, dass Sie gekommen sind!«, schrie ich ihm zu. »Keine Ursache«, brüllte er, um sich verständlich zu machen. »Wir spielen öfter mal Taxi.« Er hob ab, noch ehe ich mich angeschnallt hatte, und schwenkte nach Norden. Es wurde Abend, aber der Himmel war wolkenlos, und zum ersten Mal sah ich die Erde aus der Luft. Eine glatte, eintönig weiße Fläche erstreckte sich bis zum Horizont; von Zeit zu Zeit durchschnitt ein Weg die Weite, schnurgerade und verloren. Die Balki erschienen wie lange Schattenlöcher, die sich vor dem schräg über die Steppe streichenden Licht der untergehenden Sonne verbargen. An den Wegkreuzungen tauchten die Spuren von halb zerstörten Dörfern auf, deren Häuser sich, ihrer Dächer beraubt, mit Schnee gefüllt hatten. Dann der Don: eine riesige weiße Schlange, im Weiß der Steppe zusammengerollt und nur erkennbar an den bläulichen Rändern und dem Schatten der Hügel, die sein rechtes Ufer
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