Die Wohlgesinnten
es Dokumente und archäologische Spuren geben.« Ich beobachtete Bierkamp, der sich zu Korsemann gesellt hatte; mit nachdrücklichen Handbewegungen sprach Bierkamp rasch und leise auf den anderen ein. Köstring diskutierte mit Gilsa und dem Oberst vom AOK. Ich wechselte noch ein paar Worte mit Bräutigam, dann packte ich meine Unterlagen zusammen und ging ins Vorzimmer, in das sich schon Bierkamp und Korsemann begeben hatten. Zornig musterte Bierkamp mich: »Ich hätte gedacht, dass Ihnen die Interessen der SS mehr am Herzen liegen, Hauptsturmführer.« Ich ließ mich nicht aus der Fassung bringen: »Ich habe nicht einen Beleg für ihre Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse außer Acht gelassen, Oberführer.« – »Sie hätten sie klarer darlegen können, unmissverständlicher.« Mit seiner abgehackten Sprechweise warf Korsemann ein: »Ich verstehe nicht, was Sie ihm vorwerfen, Oberführer. Er hat sich doch wacker geschlagen. Immerhin hat der General ihn zweimal beglückwünscht.« Bierkamp zuckte mit den Achseln: »Ich frage mich, ob Prill nicht doch Recht gehabt hat.« Ich antwortete nicht. Hinteruns kamen die anderen Teilnehmer heraus. »Haben Sie noch andere Befehle für mich, Oberführer?«, fragte ich schließlich. Er machte eine unbestimmte Handbewegung: »Nein. Im Augenblick nicht.« Ich grüßte und ging hinter von Gilsa hinaus.
Draußen war die Luft trocken, schneidend kalt. Ich atmete tief ein und spürte, wie die Kälte mir tief innen die Lunge verbrannte. Alles erschien erfroren und stumm. Gilsa stieg mit dem Oberst vom AOK in den Fond seines Fahrzeugs und bot mir den Beifahrersitz an. Wir wechselten noch ein paar Worte, doch dann verfielen nach und nach alle in Schweigen. Ich dachte an die Konferenz: Bierkamps Zorn war verständlich. Köstring hatte uns einen üblen Streich gespielt. Wie jeder im Saal genau gewusst hatte, bestand überhaupt keine Aussicht, dass die Wehrmacht nach Dagestan kam. Einige – wenn vielleicht auch nicht Korsemann oder Bierkamp – vermuteten sogar, dass die Heeresgruppe A bald gezwungen sein könnte, den Kaukasus zu räumen. Selbst wenn Hoth die Vereinigung mit Paulus gelingen sollte, würde sich die 6. Armee bis zum Tschir, wenn nicht sogar bis zum unteren Don zurückziehen müssen. Ein Blick auf die Karte zeigte, dass die Lage der Heeresgruppe dann unhaltbar würde. Köstring wusste sicherlich Genaueres. Da war es natürlich ausgeschlossen, die Bergvölker wegen einer so nebensächlichen Frage wie der der Bergjuden gegen die deutschen Besatzer aufzubringen: Sie würden schon Schwierigkeiten genug machen, sobald sie begriffen, dass die Rote Armee zurückkehrte – und wenn es nur wäre, um, sicher etwas verspätet, ihre Loyalität und ihren Patriotismus unter Beweis zu stellen; daher galt es unter allen Umständen zu vermeiden, dass das Ganze außer Kontrolle geriet. Ein Rückzug durch feindliches, partisanengefährdetes Gebiet konnte zur Katastrophe werden. Den verbündeten Völkern mussten Freundschaftsbeweise geliefert werden. Das konnte Bierkamp vermutlichnicht begreifen; seine Polizistenmentalität, noch verstärkt durch die Fixierung auf Zahlen und Berichte, machte ihn kurzsichtig. Vor Kurzem hatte eines der Einsatzkommandos in einem entlegenen Gebiet von Krasnodar ein Sanatorium mit tuberkulösen Kindern liquidiert. Die meisten Kinder waren Kaukasier, die Nationalräte hatten heftig protestiert, bei den anschließenden Zusammenstößen waren mehrere Soldaten ums Leben gekommen. Bairamukow, das Oberhaupt der Karatschaier, hatte Kleist für den Fall einer Wiederholung einen allgemeinen Aufstand angedroht, woraufhin Kleist Bierkamp einen zornigen Brief geschrieben hatte, den dieser aber, wie mir zu Ohren gekommen war, mit seltsamer Gleichgültigkeit aufgenommen hatte: er könne nicht erkennen, wo das Problem liege. Korsemann, der mehr Sinn für den Einfluss des Militärs besaß, hatte eingreifen und ihn veranlassen müssen, den Kommandos neue Befehle zu erteilen. So hatte Köstring keine Wahl gehabt. Bierkamp war in der Annahme zur Konferenz gekommen, dass die Würfel noch nicht gefallen seien; doch Köstring hatte, vermutlich zusammen mit Bräutigam, ein abgekartetes Spiel inszeniert, der Austausch der Standpunkte war nur Theater gewesen, eine Komödie für das ahnungslose Publikum. Auch wenn Weseloh dabei gewesen oder ich zu einer vollkommen tendenziösen Argumentation bereit gewesen wäre, hätte das nichts geändert. Der Trick mit Dagestan war brillant, entwaffnend:
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