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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Hunger.« Schweigend trank ich meinen Kaffee. Höfler döste vor sich hin. Draußen war es totenstill. Popp, der mich als Bursche begleiten sollte, traf ein und begann laut schmatzend zu essen. Ich stand auf und ging auf den Hof, um zu rauchen. Der Himmel war klar, die Sterne funkelten über den hohen Fassaden des ehemaligen Klosters, die in dem weichen weißen Licht abweisend und unzugänglich wirkten. Den Mond konnte ich nicht sehen. Jetzt kam auch Höfler heraus und salutierte. »Wagen ist vorgefahren, Obersturmführer.« – »Haben Sie die Benzinkanister dabei?« – »Jawohl. Stücker drei.« Popp stand mit seinem Gewehr neben dem Schlag des »Admirals«, unbeholfenund zufrieden. Ich bedeutete ihm, hinten einzusteigen. »Gewöhnlich sitzt die Begleitung vorn, Obersturmführer.« – »Ich weiß, aber mir ist lieber, wenn Sie hinten sitzen.«
    Jenseits des Styrs bog Höfler auf die Straße ein, die südwärts führte. Schilder markierten den Weg; der Landkarte zufolge hatten wir einige Stunden Fahrt vor uns. Es war ein schöner Montagmorgen, ruhig und friedlich. Die schlafenden Dörfer wirkten fast unberührt vom Krieg; die Kontrollposten ließen uns anstandslos durch. Zu unserer Linken wurde der Himmel schon heller. Kurz darauf kam die Sonne, noch rötlich, zwischen den Bäumen hervor. Dünne Nebelschwaden klebten am Boden; zwischen den Dörfern erstreckten sich, so weit das Auge reichte, große flache Felder, die von Gehölzen und gedrungenen, dicht bewachsenen Hügeln unterbrochen wurden. Der Himmel färbte sich allmählich blau. »Der Boden hier muss gut sein«, meinte Popp. Ich antwortete nicht, und er schwieg. In Radziechów machten wir Halt, um zu essen. Wieder lagen Panzerwracks auf den Seitenstreifen und in den Straßengräben, niedergebrannte Isbas entstellten die Dörfer. Der Verkehr nahm zu, uns begegneten lange Lkw-Kolonnen, teils mit Soldaten, teils mit Proviant beladen. Kurz vor Lemberg zwang uns eine Straßensperre, zu halten und Panzer durchzulassen. Die Straße bebte, Staubspiralen verdunkelten unsere Scheiben und drangen durch die Ritzen ein. Höfler bot erst mir und dann Popp eine Zigarette an. Er verzog sein Gesicht, als er seine anzündete: »Wirklich Scheiße, diese Sportnixe .« – »Die geht doch noch«, sagte ich. »Sie dürfen nicht so wählerisch sein.« Nachdem die Panzer vorbeigerollt waren, näherte sich ein Feldgendarm und wies uns an, noch länger zu warten: »Es kommt noch eine Kolonne«, rief er. Ich rauchte meine Zigarette zu Ende und warf die Kippe aus dem Wagenfenster. »Popp hat Recht«, sagte Höfler plötzlich. »Es ist ein schönes Land. Nach dem Krieg könnte man sich hier niederlassen.« – »Sie würdensich hier niederlassen?«, fragte ich ihn lächelnd. Er zuckte mit den Schultern: »Kommt darauf an …« – »Auf was?« – »Auf die Bürokraten. Wenn es wie bei uns ist, lohnt es sich nicht.« – »Und was würden Sie tun?« – »Wenn ich könnte, wie ich wollte, Obersturmführer? Ich würde ein Geschäft aufmachen, wie zu Hause. Einen guten Tabakladen, auch mit einem Ausschank, und vielleicht mit Obst und Gemüse, je nachdem.« – »Und hier wäre es Ihnen lieber als zu Hause?« Er schlug mit der Hand auf das Lenkrad: »Zu Hause musste ich schließen. Schon 38.« – »Warum?« – »Nun, diese Schweinehunde von den Kartellen, von Reemtsma. Die haben festgesetzt, dass nur beliefert wurde, wer jährlich mindestens fünftausend Reichsmark umgesetzt hat. In meinem Dorf wohnen ungefähr sechzig Familien, bevor man da für fünftausend Reichsmark Zigaretten verkauft … Nichts zu machen, es gibt keine anderen Lieferanten. Ich war der einzige Tabakhändler im Dorf, unser Ortsgruppenleiter wollte mir helfen, hat für mich Briefe an den Gauleiter geschrieben, wir haben alles versucht, nichts zu machen. Es endete vor Gericht, ich habe verloren, da musste ich schließen. Gemüse allein, das reichte hinten und vorne nicht. Und dann wurde ich eingezogen.« – »Jetzt gibt’s keinen Tabakladen mehr in deinem Dorf?«, fragte Popp mit belegter Stimme. »Nee, wie du siehst.« – »Bei uns hat’s nie einen gegeben.« Die zweite Panzerkolonne kam heran, und alles begann wieder zu beben. Eine der Seitenscheiben des Admirals war schlecht fixiert und schepperte wild in ihrer Führung. Ich machte Höfler darauf aufmerksam, und er nickte. Die Kolonne zog vorbei, endlos: Offenbar kam die Front immer noch rasch voran. Schließlich gab uns der Feldgendarm ein Zeichen, die Straße

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