Die Wohlgesinnten
Sturmbannführer Kehrig.« – »Sicher, aber wir gehören nicht zur Einsatzgruppe. Von den Offizieren des Teilkommandos sind Sie der Dienstälteste.« – »Einverstanden«, sagte Kehrig. Angespannt ließ Callsen seine Augen von einem zum anderen wandern, dann sah er Janssen an, der den Blick abwandte, bevor er nickte. »Ich bin auch einverstanden«, erklärte Kurt Hans nachdrücklich. »Hauptsturmführer, bei Ihnen liegt jetzt das Kommando.« Callsen schwieg einen Augenblick und zuckte dann mit den Schultern: »Gut, wie Sie wollen.« – »Ich habe noch eine Frage«, Strahlke, unser Leiter II, meldete sich zu Wort. Er wandte sich an Sperath: »Doktor, was meinen Sie, wie steht es um Blobel? Ist mit seiner baldigen Rückkehr zu rechnen?« Sperath zog ein Gesicht: »Ich weiß nicht. Schwer zu sagen. Zum Teil ist sein Zustand sicherlich nervlich bedingt, er dürfte aber auch organische Ursachen haben. Mal sehen, wie es ihm geht, wenn das Fieber sinkt.« – »Wenn ich Sie recht verstehe«, sagte Vogt und räusperte sich, »kommt er nicht so bald zurück.« – »Ich denke nicht. Jedenfalls nicht in den nächsten Tagen.« – »Kann sein, dass er überhaupt nicht wiederkommt«, warf Kehrig ein. Es wurde still im Saal. Offenbar ging uns allen derselbe Gedanke durch den Kopf, wenn ihn auch keiner auszusprechen wagte: Es wäre möglicherweise kein großes Unglück, wenn Blobel nicht zurückkäme. Noch vor einem Monat hatte ihn keiner von uns gekannt, und obwohl wir kaum eine Woche unter seinemKommando standen, hatten wir begriffen, wie schwierig, ja, unangenehm sich die Zusammenarbeit mit ihm gestalten könnte. Callsen brach das Schweigen: »Hören Sie, wir sind noch nicht fertig, wir müssen die Strafaktion vorbereiten.« – »Ach, die ganze Geschichte ist doch grotesk«, entgegnete Kehrig heftig, »ohne Sinn und Verstand.« – »Was ist grotesk?«, fragte Vogt. »Diese Vergeltungsmaßnahmen natürlich! Als ob wir im Dreißigjährigen Krieg wären! Und überhaupt – wie wollen Sie tausend Juden ausfindig machen? In einer Nacht?« Er tippte sich mit dem Finger an die Nase. »Nach dem Aussehen? Wollen Sie die Nasen kontrollieren? Sie nachmessen?« – »Stimmt«, räumte Janssen ein, der bis dahin geschwiegen hatte. »Es wird nicht leicht sein.« – »Häfner hatte eine gute Idee«, meinte Kurt Hans trocken. »Man muss sie nur auffordern, die Hosen runterzulassen.« Kehrig explodierte: »Das ist doch absolut lächerlich! Haben Sie denn alle den Verstand verloren? … Callsen, sagen Sie doch mal was dazu!« Callsens Miene war finster, aber er blieb ruhig: »Sturmbannführer, wir werden eine Lösung finden, ich werde nachher mit dem Obergruppenführer sprechen. Was die Sache selbst angeht, so gefällt sie mir ebenso wenig wie Ihnen. Aber Befehl ist Befehl.« Kehrig biss sich auf die Lippen und starrte ihn an, sichtlich um Haltung bemüht. »Und Brigadeführer Rasch«, er rülpste es schließlich heraus, »was meint der dazu? Er ist immerhin unser direkter Vorgesetzter.« – »Genau, das ist ein weiteres Problem. Ich habe bereits versucht, mich mit ihm in Verbindung zu setzen, doch der Gruppenstab ist anscheinend noch unterwegs. Ich möchte einen Offizier nach Lemberg schicken, der ihm Meldung macht und ihn nach seinen Befehlen fragt.« – »An wen haben Sie gedacht?« – »An Obersturmführer Aue. Können Sie ihn ein oder zwei Tage entbehren?« Kehrig wandte sich an mich: »Wie weit sind Sie mit den Akten, Obersturmführer?« – »Einen großen Teil habe ich bereits gesichtet. Ich brauchevermutlich noch ein paar Stunden.« Callsen blickte zur Uhr: »Auf jeden Fall ist es jetzt zu spät, Sie schaffen es nicht mehr vor Einbruch der Nacht.« – »Gut«, entschied Kehrig. »Machen Sie’s heute Abend fertig und brechen Sie bei Tagesanbruch auf.« – »Jawohl, Sturmbannführer … Hauptsturmführer«, ich wandte mich dann an Callsen, »wie lauten Ihre Befehle?« – »Erläutern Sie dem Brigadeführer die Situation und den Zustand des Kommandeurs. Informieren Sie ihn über unsere Entscheidungen und sagen Sie ihm, dass wir auf seine Befehle warten.« – »Und wenn Sie schon dabei sind, erkunden Sie an Ort und Stelle die Lage«, fügte Kehrig hinzu. »Sie scheint ziemlich unübersichtlich zu sein, ich würde gern wissen, was los ist.« – »Zu Befehl.«
Am Abend brauchte ich vier Männer, um die Kisten mit dem ausgewählten Archivmaterial ins Büro des SD schaffen zu lassen. Kehrig hatte miserable Laune. »Was soll
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