Die Wohlgesinnten
denn das, Obersturmführer?«, schrie er, als er meine Kisten sah. »Nennen Sie das aussortieren?« – »Sie sollten sehen, was ich unten gelassen habe, Sturmbannführer.« – »Na, gut. Dann brauchen wir aber mehr Übersetzer. Ihr Wagen steht übrigens bereit, fragen Sie nach Höfler. Sie müssen in aller Frühe aufbrechen. Melden Sie sich jetzt bei Callsen.« Im Gang stieß ich auf Untersturmführer Zorn, einen weiteren Offizier, der Häfner ständig unterstellt war. »Ah, Dr. Aue, Sie haben ein Glück.« – »Wieso?« – »Na, weil Sie wegfahren. Üble Geschichte, das mit morgen.« Ich nickte: »Stimmt. Ist denn alles vorbereitet?« – »Keine Ahnung. Ich brauche mich nur um die Absperrung zu kümmern.« – »Zorn muss ständig jammern«, meinte Janssen, der zu uns getreten war. »Haben Sie das Problem gelöst?«, fragte ich. »Welches?« – »Na, das Problem mit den Juden. Wie man sie erkennt.« Er lachte trocken: »Ach das! Ganz einfach. Das AOK lässt Plakate drucken: Sämtliche Juden haben sich morgen früh auf dem großen Platz zum Arbeitseinsatz einzufinden. Wir nehmen einfach die, dieda sind.« – »Glauben Sie, es werden genug sein?« – »Der Obergruppenführer sagt ja, es funktioniere immer. Sonst verhaften wir die jüdischen Wortführer und drohen ihnen mit Erschießung.« – »Verstehe.« – »Was für eine verdammte Sauererei ist das«, schimpfte Zorn. »Ein Glück, dass ich mich nur um die Absperrung kümmern muss.« – »Immerhin sind Sie dabei«, sagte Janssen knurrend. »Nicht wie dieses Schwein Häfner.« – »Er kann doch nichts dafür«, wandte ich ein. »Er wollte bleiben. Der Sturmbannführer hat darauf bestanden, dass er ihn begleitet.« – »Eben. Und warum ist der nicht da?« Mürrisch blickte er mich an. »Ich hätte auch nichts dagegen, mich in Lublin oder Lemberg zu ergehen.« Ich zuckte mit den Schultern und suchte Callsen auf. Der beugte sich gerade mit Vogt und Kurt Hans über einen Stadtplan. »Ja bitte, Obersturmführer?« – »Sie wollten mich sprechen.« Callsen schien sich viel besser im Griff zu haben als am Nachmittag, wirkte fast entspannt. »Melden Sie Brigadeführer Dr. Rasch, dass Obergruppenführer Jeckeln die Befehle der Armee zur Kenntnis genommen hat und die Aktion persönlich befehligen wird.« Sein Blick war ruhig und gelassen; offensichtlich war ihm durch Jeckelns Entscheidung eine Last von den Schultern genommen. »Er soll mich bis zur Rückkehr von Sturmbannführer von Radetzky als kommissarischen Kommandeur bestätigen«, fuhr er fort, »es sei denn, der Brigadeführer wünscht jemand anders an meiner Stelle. Außerdem brauchen wir für die Aktion ukrainische Hilfswillige und eine Kompanie des Polizei-Reservebataillons 9. Das ist alles.« Ich grüßte und ging wortlos hinaus. In der Nacht lag ich noch lange wach: Ich dachte an die Juden, die sich am nächsten Morgen einfinden würden. Ich fand die Methode, auf die sie gekommen waren, höchst ungerecht: Die Juden guten Willens würden bestraft werden, diejenigen, die den Worten des Deutschen Reichs glaubten; die anderen dagegen, die Feiglinge, die Verräter, die Bolschewisten würden in ihremVersteck bleiben und nicht gefunden werden. Wie Zorn sagte, eine schöne Schweinerei. Ich war glücklich, nach Lemberg zu fahren, es würde eine interessante Reise werden; aber ich fand es unbefriedigend, auf diese Weise der Aktion aus dem Weg zu gehen; schließlich handelte es sich um ein schwieriges Problem, dem man sich stellen, das man lösen musste, zumindest für sich persönlich, statt ihm auszuweichen. Callsen, Zorn und all die anderen wollten sich drücken, jedenfalls keine Verantwortung übernehmen: Ich fand das nicht in Ordnung. Wenn wir Unrecht auf uns nahmen, mussten wir uns darüber klar werden, ob es notwendig und unausweichlich war oder aber bloß eine Folge von Leichtfertigkeit, Trägheit und Gedankenlosigkeit. Das war eine Frage, der wir uns stellen mussten. Ich wusste, dass solche Entscheidungen auf viel höheren Ebenen getroffen wurden; nichtsdestoweniger waren wir keine Automaten, es ging nicht nur darum, Befehlen zu gehorchen, sondern sie mitzutragen; ich hatte jedoch meine Zweifel, und das beunruhigte mich. Schließlich las ich ein bisschen und schlief ein paar Stunden.
Um vier Uhr zog ich mich an. Höfler, der Fahrer, wartete bereits in der Kantine mit schlechtem Kaffee auf mich. »Wenn Sie mögen, ich habe auch Brot und Käse, Obersturmführer.« – »Nein danke, ich habe keinen
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