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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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herumging, um ihm die Hand zu geben; er streifte mich kaum mit den Fingerspitzen, während die Frau wieder zu der Tür hinausging, durch die sie eingetreten war. »Setz dich bitte«, murmelte er mit seiner schönen Stimme. Er trug einen Anzug aus dickem braunemWollstoff; seine Krawatte verschwand unter einem Fleischplastron, der ihm vom Hals herabhing. Unter ihm ertönte ein widerliches Geräusch, und ein ekelhafter Geruch erreichte mich; ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Im selben Augenblick sprang ihm eine Katze auf die Knie, und er nieste, dann streichelte er sie und nieste erneut: Jedes Niesen war wie eine kleine Explosion, die die Katze zusammenzucken ließ. »Ich bin allergisch gegen diese armen Geschöpfe«, sagte er, wobei er sich schnäuzte, »aber ich mag sie einfach zu gern.« Die Frau kam mit einem Tablett zurück: Gemessenen sicheren Schritts kam sie auf uns zu, stellte ein Teeservice auf den Couchtisch, befestigte ein Tablett an Mandelbrods Armlehne, goss uns zwei Tassen ein und verschwand wieder, all das genauso unauffällig und stumm wie die Katzen. »Da ist Zucker und Milch«, sagte Mandelbrod. »Bedien dich. Ich nehme nichts.« Er musterte mich einen Augenblick: Ein verschmitztes Licht tanzte in seinen kleinen Augen, die in den Tiefen seiner Speckfalten fast verschwanden. »Du hast dich verändert«, erklärte er schließlich. »Der Osten hat dir gutgetan. Du bist reifer geworden. Dein Vater wäre stolz.« Diese Worte berührten mich sehr: »Glauben Sie?« – »Gewiss. Du hast hervorragende Arbeit geleistet: Sogar der Reichsführer hat deine Berichte zur Kenntnis genommen. Er hat uns das Album gezeigt, das du in Kiew angefertigt hast: Dein Chef wollte die Meriten dafür einheimsen, aber wir wussten, dass die Idee von dir stammte. Gut, es war nur eine Bagatelle. Aber die Berichte, die du geschrieben hast, vor allem in den letzten Monaten, waren ausgezeichnet. Meiner Meinung nach hast du eine glänzende Zukunft vor dir.« Er schwieg und betrachtete mich: »Was macht deine Verwundung?«, fragte er schließlich. »Alles in Ordnung, Herr Doktor. Ist verheilt, ich muss mich nur noch ein wenig erholen.« – »Und dann?« – »Dann melde ich mich natürlich wieder zum Dienst.« – »Und was gedenkst du zu tun?« – »Ich weiß noch nicht recht. Dashängt davon ab, was man mir vorschlägt.« – »Du kannst dir vorschlagen lassen, was du willst. Das liegt nur an dir. Wenn du die richtige Wahl triffst, öffnen sich dir alle Türen, das versichere ich dir.« – »Woran denken Sie, Herr Doktor?« Langsam hob er seine Tasse, blies auf den Tee und schlürfte ihn geräuschvoll. Ich trank auch einen Schluck. »Wenn ich richtig informiert bin, hast du dich in Russland vor allem mit der Judenfrage beschäftigt, nicht wahr?« – »Ja, Herr Doktor«, sagte ich leicht verlegen. »Aber nicht nur.« Mandelbrod fuhr bereits mit seiner gelassenen, melodischen Stimme fort: »In der Position, in der du dich befandest, konntest du sicherlich nicht die Tragweite beurteilen, weder die des Problems noch die der praktischen Lösung, die dafür gefunden wurde. Du hast bestimmt Gerüchte gehört: Sie stimmen. Seit Ende 1941 haben wir diese Lösung, soweit möglich, auf alle europäischen Länder ausgeweitet. Das Programm läuft seit dem Frühjahr letzten Jahres. Wir haben schon beträchtliche Erfolge zu verzeichnen, sind aber noch weit von unserem Ziel entfernt. Dafür werden tatkräftige und aufopferungsvolle Männer wie du gebraucht.« Ich spürte, dass ich rot wurde: »Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, Herr Doktor. Aber ich muss Ihnen gestehen, dass ich diesen Aspekt meiner Arbeit als äußerst schwierig empfunden habe. Er geht über meine Kräfte. Ich würde mich jetzt gerne einer Aufgabe widmen, die meiner Begabung und meinen Kenntnissen besser entspricht, etwa dem Verfassungsrecht oder auch den rechtlichen Beziehungen zu den anderen europäischen Ländern. Der Aufbau des neuen Europas ist ein Gebiet, das mich sehr reizt.« Während ich so tönern daherredete, hatte Mandelbrod seinen Tee ausgetrunken; die blonde Amazone war wieder aufgetaucht, hatte den Raum durchquert, ihm eine weitere Tasse eingeschenkt und war wieder gegangen. Mandelbrod schlürfte wieder. »Ich verstehe deine Bedenken«, sagte er schließlich. »Warum solltest du schwierige Aufgaben übernehmen,wenn es andere Leute gibt, die sie erledigen? Das ist der Geist der Zeit. Während des letzten Krieges war das anders. Je schwieriger oder

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