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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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der politischen Situation befasst hatte; auf meine Arbeit waren sie nicht eingegangen, und ich hatte nicht gewagt, das Thema von mir aus zur Sprache zu bringen. Seither hatte ich sie nicht wiedergesehen. Daher kam Mandelbrods Einladung für mich vollkommen überraschend: Was mochte er von mir wollen? Aus Anlass dieses Besuchs legte ich meine neue Uniform mit allen Orden und Ehrenzeichen an. Ihre Privatbüros nahmen die beiden obersten Etagen eines schönen Gebäudes Unter den Linden ein, neben der Akademie der Wissenschaften und dem Sitz der Reichsvereinigung Kohle, in der sie übrigens auch eine gewisse Rolle spielten. Am Eingang gab es keinerlei Schilder. Im Foyer wurden meine Papiere von einer jungen Frau überprüft, die ihr langeskastanienbraunes Haar streng nach hinten gebunden hatte und anthrazitfarbene Kleidung trug, ohne irgendwelche Abzeichen, aber wie eine Uniform geschnitten, mit Herrenhose und Stiefeln statt eines Rocks. Offenbar mit meinen Papieren zufrieden, brachte sie mich zu einem Privataufzug, betätigte ihn mit einem Schlüssel, den sie an einem langen Kettchen um den Hals trug, und begleitete mich wortlos in das oberste Stockwerk. Hier war ich noch nie gewesen: In den dreißiger Jahren hatten sie eine andere Adresse gehabt, außerdem hatte ich mich mit ihnen meist in einem Restaurant oder einem der großen Hotels getroffen. Der Fahrstuhl öffnete sich auf ein großes Vorzimmer; elegant und unauffällig mit dunklen Holz- und Ledermöbeln ausgestattet, dazu Zierrat aus poliertem Zinn und Opakglas. Meine Begleiterin verließ mich dort; eine andere, genauso gekleidete Frau nahm mir meinen Mantel ab und hängte ihn in einen Garderobenschrank. Sie bat mich auch um meine Dienstwaffe, die sie mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit in ihren schönen, sorgfältig manikürten Fingern hielt und in eine Schublade legte, die sie abschloss. Ich musste nicht warten, die Frau führte mich gleich durch eine gepolsterte Doppeltür. Dr. Mandelbrod erwartete mich in einem riesigen Raum hinter einem ausladenden, rötlich schimmernden Mahagonischreibtisch, mit dem Rücken zu einem breiten Fenster, das, ebenfalls aus Opakglas, ein blasses, milchiges Licht hereinließ. Er schien mir noch fettleibiger als bei unserer letzten Begegnung. Mehrere Katzen strichen über den Teppich oder schliefen auf den Ledermöbeln und seinem Schreibtisch. Er wies mit seinen Wurstfingern auf ein Sofa, das auf der linken Seite vor einem niedrigen Tisch stand: »Guten Tag, guten Tag. Setz dich, ich komme.« Ich hatte nie verstanden, wie eine so schöne und melodische Stimme von solchen Fettmassen hervorgebracht werden konnte, es überraschte mich jedes Mal. Die Mütze unter dem Arm, ging ich quer durch den Raum und setztemich auf das Sofa, wobei ich eine halb weiße, halb getigerte Katze vertrieb, die mir das jedoch nicht übel nahm, sondern unter den Tisch glitt, um sich woanders niederzulassen. Ich sah mich in dem Raum um: Die Wände waren durchgehend mit Leder gepolstert; abgesehen von einigen dekorativen Elementen wie denen im Vorzimmer gab es keinerlei Schmuck, keine Gemälde oder Fotografien, noch nicht einmal ein Porträt des Führers. Dafür wies die Platte des Couchtisches wunderbare Intarsien auf, ein kompliziertes Labyrinth aus Edelhölzern, das von einer dicken Glasplatte geschützt wurde. Nur die Katzenhaare, die auf den Möbeln und Teppichen lagen, beeinträchtigten den unauffälligen gediegenen Charakter dieser Einrichtung. Ein etwas unangenehmer Geruch lag in dem Raum. Eine der Katzen rieb sich schnurrend mit erhobenem Schwanz an meinen Stiefeln; ich versuchte, sie mit der Fußspitze zu verjagen, aber sie achtete nicht darauf. Inzwischen hatte Mandelbrod offenbar auf einen versteckten Knopf gedrückt: Eine fast unsichtbare Tür öffnete sich in der rechten Wand, und eine dritte Frau trat ein, wie die beiden ersten gekleidet, aber mit sehr blondem Haar. Sie trat hinter Mandelbrod, kippte ihn nach hinten, drehte ihn und schob ihn in meine Richtung. Ich stand auf. Mandelbrod war tatsächlich noch dicker geworden; während er früher in einem normalen Rollstuhl gesessen hatte, thronte er jetzt auf einem riesigen kreisförmigen Sessel, der auf eine kleine Plattform montiert war – ein kolossaler orientalischer Götze, mächtig und furchtlos. Die Frau schob dieses massige Gefährt ohne erkennbare Mühe, vermutlich indem sie ein elektrisches Antriebs- und Steuersystem betätigte. Sie stellte ihn vor den Couchtisch, um den ich

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