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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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durch eine konventionelle, zur Schau getragene Wut entstellt und verfälscht. Doch genau da lag das Problem: Wenn ich mich ständig mit diesem Blick von außen, dieser kritischen Kamera betrachtete, wie sollte mir da die geringste wahrhaftige Äußerung, die geringste wahrhaftige Geste gelingen? Alles, was ich tat, wurde zu einem Schauspiel für mich selbst; sogar diese Reflexion war nur eine andere Art der Selbstbespiegelung, armer Narziss, der ich ständig für mich Männchen machte, ohne dass ich mich davon hätte täuschen lassen. Das war die Sackgasse, in der ich seit meiner späten Kindheit stak: Zuvor gab es nur Una, die mich dazu bringen konnte, aus mir herauszutreten, mich ein wenig zu vergessen, und nachdem ich sie verloren hatte, hörte ich nicht auf, mich mit einem Blick zu betrachten, der im Geiste mit dem ihren verschmolz, aber ausweglos der meine blieb. Ohne dich bin ich nicht ich: Und das war der reine, tödliche Schrecken, der nichts mit den köstlichen Schrecken der Kindheit zu tun hatte, eine Verurteilung ohne Berufung, ja ohne Richterspruch.
    In diesen ersten Märztagen 1943 erhielt ich auch Dr. Mandelbrods Einladung zum Tee. Ich kannte Mandelbrod und seinen Geschäftspartner Herrn Leland seit geraumer Zeit. Früher,nach dem Ersten Weltkrieg – vielleicht auch schon vorher, allerdings habe ich keine Möglichkeit, das zu überprüfen –, hatte mein Vater für sie gearbeitet (offenbar war auch mein Onkel gelegentlich für sie tätig gewesen). Nach allem, was ich nach und nach erfahren hatte, waren ihre Beziehungen über das einfache Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hinausgegangen: Nach dem Verschwinden meines Vaters hatten Dr. Mandelbrod und Herr Leland meiner Mutter bei ihren Nachforschungen geholfen und sie möglicherweise auch finanziell unterstützt, aber das ist nicht ganz so sicher. Und sie hatten auch weiterhin eine Rolle in meinem Leben gespielt; 1934, als ich den Bruch mit meiner Mutter vorbereitete, um nach Deutschland zu gehen, nahm ich Kontakt zu Mandelbrod auf, der schon lange eine geachtete Persönlichkeit in der Bewegung war; er ermutigte mich und bot mir seine Hilfe an; er hatte mich gedrängt, meine Studien fortzusetzen – allerdings in Deutschland, nicht mehr in Frankreich –, und für die Immatrikulation in Kiel und meine Aufnahme in die SS gesorgt. Trotz seines jüdisch klingenden Namens war er, wie Minister Rosenberg, ein rassereiner Deutscher aus alter preußischer Familie, vielleicht mit einem Schuss slawischen Bluts; Herr Leland war gebürtiger Engländer, seine germanophilen Überzeugungen allerdings hatten ihn schon vor meiner Geburt veranlasst, sich von seinem Heimatland loszusagen. Sie waren Industrielle, aber ihre genaue Stellung war schwer zu definieren. Sie saßen in mehreren Aufsichtsräten, vor allem bei IG Farben, und waren auch an anderen Unternehmen finanziell beteiligt, ohne dass ihre Namen mit einer der Firmen besonders verbunden gewesen wären; es hieß, sie hätten großen Einfluss in der Chemiebranche (beide bekleideten sie hohe Posten innerhalb der Reichsgruppe Industrie ) und in der Metallindustrie. Außerdem standen sie der Partei seit der Kampfzeit nahe und hatten ihr von Anfang an finanzielle Hilfe geleistet; laut Thomas,mit dem ich vor dem Krieg einmal darüber gesprochen hatte, hatten sie einen Posten in der Kanzlei des Führers inne, jedoch ohne Philipp Bouhler direkt unterstellt zu sein; und sie unterhielten Verbindungen zu den höchsten Kreisen der Parteikanzlei. Schließlich hatte der Reichsführer SS sie ehrenhalber zu SS-Gruppenführern ernannt und in den Freundeskreis Himmler aufgenommen; doch Thomas behauptete rätselhafterweise, dadurch habe die SS keinerlei Einfluss auf die beiden bekommen, und wenn überhaupt von Einfluss die Rede sein könne, dann eher in umgekehrter Richtung. Er zeigte sich sehr beeindruckt, als ich ihm von meiner Beziehung zu ihnen berichtete, und sichtlich beneidete er mich sogar um solche Gönner. Allerdings war ihr Interesse an meiner Karriere im Laufe der Zeit Schwankungen unterworfen: Als ich nach meinem Bericht von 1939 gewissermaßen aufs Abstellgleis geschoben worden war, hatte ich sie um eine Unterredung gebeten; doch die Zeiten waren stürmisch, ich hatte mehrere Monate auf eine Antwort warten müssen; erst zu Beginn des Frankreich-Feldzugs hatten sie mich zum Abendessen eingeladen: Herr Leland hatte, wie es seine Gewohnheit war, meist geschwiegen, während Dr. Mandelbrod sich vor allem mit

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