Die Wohlgesinnten
knabberte, und das Mädchen lief mit einem fröhlichen Lachen fort. Stockenten und andere Wasservögel schwammen oder landeten auf den Teichen: Kurz bevor sie aufsetzten, schlugen sie wild mit fast senkrecht aufgestellten Flügeln, um zu bremsen, und streckten ihre Schwimmfüße gegen das Wasser aus; sobald sie die Oberfläche berührten, zogen sie die Füße ein und beendeten die Landung auf ihrem gewölbten Bauch, wobei eine kleine Wasserfontäne aufspritzte. Die Sonne blinzelte durch die Kiefern und kahlen Äste der Eichen; an den Wegkreuzungen standen auf kleinen Sockeln Putten oder Nymphchen aus grauem Stein, überflüssig und lächerlich. Am Mohrenrondell – im Kreis aufgestellte Büsten vor gestutzten Sträuchern, darüber terrassenförmig angelegte Weinstöcke und Gewächshäuser – raffte Una ihren Rock zusammen und setzte sich auf die Bank, behände wie ein junges Mädchen. Ich zündete mir eine Zigarette an, sie nahm sie miraus der Hand und rauchte einige Züge, bevor sie sie mir zurückgab. »Erzähl mir von Russland!« In kurzen, nüchternen Worten setzte ich ihr auseinander, worin die Arbeit des Sicherheitsdienstes in der Etappe hinter der Front bestand. Wortlos hörte sie zu. Schließlich fragte sie: »Und du, hast du auch Menschen getötet?« – »Einmal, da musste ich den Nachschuss übernehmen. Meistens war ich mit nachrichtendienstlicher Tätigkeit beschäftigt, ich habe Berichte geschrieben.« – »Und was hast du empfunden, als du auf diese Menschen geschossen hast?« Ohne zu zögern antwortete ich: »Nichts anderes, als wenn ich andere schießen sah. In dem Augenblick, wo es getan werden muss, spielt es kaum eine Rolle, wer es tut. Im Übrigen denke ich, dass ich beim Zuschauen genauso verantwortlich bin, wie wenn ich es selber tue.« – »Aber muss es denn getan werden?« – »Wenn wir diesen Krieg gewinnen wollen, ganz bestimmt.« Sie dachte einen Augenblick nach und sagte dann: »Ich bin froh, dass ich kein Mann bin.« – »Und ich habe mir oft gewünscht, dein Glück zu haben.« Sie streckte den Arm aus und strich mir nachdenklich mit der Hand über die Wange: Ich glaubte, das Glück müsse mich ersticken, und wollte mich wie ein Kind in ihre Arme schmiegen. Doch sie stand auf, und ich folgte ihr. Langsam stieg sie die Terrassen zum gelben Schlösschen hinauf. »Hast du Nachricht von Mama?«, fragte sie über die Schulter. »Nein. Wir schreiben uns schon seit Jahren nicht mehr. Was macht sie?« – »Sie lebt noch immer mit Moreau in Antibes. Er macht Geschäfte mit der Wehrmacht. Inzwischen stehen sie unter italienischer Kontrolle. Es scheint ihnen sehr gut zu gehen, aber Moreau ist wütend, weil er überzeugt ist, dass Mussolini die Côte d’Azur annektieren will.« Wir waren auf der obersten Terrasse angelangt, einer kiesbestreuten Fläche, die bis zum Schloss reichte. Von dort ging der Blick über den Park, die Dächer und die Kirchtürme von Potsdam, die sich hinter den Bäumen abzeichneten. »Papa hat dieseStelle sehr geliebt«, sagte Una leise. Das Blut stieg mir ins Gesicht, und ich packte sie am Arm: »Woher weißt du das?« Sie zuckte die Achseln: »Ich weiß es eben.« – »Das hast du nie …« Sie sah mich traurig an: »Max, er ist tot. Mach dir das endlich klar!« – »Auch du sagst das?«, stieß ich hasserfüllt hervor. Doch sie blieb ruhig: »Ja, auch ich sage das.« Und sie rezitierte diese englischen Verse:
Full fathom five thy father lies;
Of his bones are coral made;
Those are pearls that were his eyes:
Nothing of him that doth fade,
But doth suffer a sea-change
Into something rich and strange.
Empört wandte ich mich ab und entfernte mich. Sie holte mich ein und fasste mich am Arm. »Komm, wir besichtigen das Schloss.« Der Kies knirschte unter unseren Schritten, wir umrundeten das Gebäude und gingen unter der Rotunde hindurch. Im Inneren betrachtete ich zerstreut die vergoldeten Arabesken, die kleinen kostbaren Möbel, die sinnenfreudigen Gemälde des 18. Jahrhunderts; etwas lebhafter wurden meine Gedanken nur im Musikzimmer, als ich das Hammerklavier betrachtete und mich fragte, ob es das Instrument sei, auf dem der alte Bach am Tag seiner Ankunft vor dem König jenes Stück improvisierte, das später das Musikalische Opfer werden sollte: Wäre der Wärter nicht gewesen, ich hätte die Hand ausgestreckt und die Tasten angeschlagen, die vielleicht einmal Bachs Finger gespürt hatten. Das berühmte Gemälde von Menzels, das Friedrich den Großen mit
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