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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Symbol der unzerstörbaren Einheit. « Sie hob die Hand. »Nein, nein, Max. Du begreifst gar nichts, hast nie etwas begriffen.« Sie war rot im Gesicht, sie hatte offenbar viel getrunken. »Du hast das immer viel zu ernst genommen. Das waren Spiele, Kinderspiele. Wir waren Kinder.« Mir brannten die Augen, die Brust wurde mir eng. Ich bemühte mich, meine Stimme unter Kontrolle zu bekommen. »Du täuschst dich, Una. Du hast nichts begriffen.« Sie trank wieder. »Werd endlich erwachsen, Max.« Damals waren wir seit sieben Jahren getrennt. »Niemals«, stieß ich hervor, »niemals.« Und dieses Versprechen habe ich gehalten, selbst wenn sie es mir nicht zu danken wusste.
    Im Zug, auf der Rückfahrt von Potsdam, betrachtete ich sie, beherrscht von dem Gefühl des Verlustes, als wäre ich untergegangen und nie wieder aufgetaucht. Und sie, woran dachte sie? Ihr Gesicht hatte sich seit jenem Abend in Zürich nicht verändert, nur ein wenig voller war es geworden; aber es blieb mir verschlossen, unzugänglich; dahinter verbarg sich ein anderes Leben. Wir fuhren durch die eleganten Wohngebiete von Charlottenburg; dann kamen Zoo und Tiergarten. »Weißt du«, sagte ich, »dass ich seit meiner Ankunft in Berlin noch nicht im Zoo gewesen bin.« – »Dabei magst du doch Zoos so gern.« – »Ja. Ich müsste da mal spazieren gehen.« Wir stiegen am Lehrter Bahnhof aus, und ich brachte sie mit einem Taxi zum Wilhelmplatz. »Willst du mitmir zu Abend essen?«, fragte ich sie am Portal des Kaiserhofs . – »Gern«, antwortete sie, »aber jetzt muss ich zu Berndt.« Wir vereinbarten, uns in zwei Stunden wiederzutreffen, und ich kehrte in mein Hotel zurück, um zu baden und mich umzuziehen. Ich fühlte mich erschöpft. Ihre Worte vermischten sich mit meinen Erinnerungen, meine Erinnerungen mit meinen Träumen und meine Träume mit meinen aberwitzigsten Gedanken. Ich rief mir ihr grausames Shakespeare-Zitat ins Gedächtnis: War auch sie ins Lager meiner Mutter übergelaufen? Das war sicherlich der Einfluss ihres Mannes, des baltischen Barons. Wütend sagte ich mir: Sie hätte Jungfrau bleiben müssen wie ich. Die Unlogik dieses Gedankens ließ mich in Gelächter ausbrechen, in ein langes, hemmungsloses Gelächter; gleichzeitig war mir nach Weinen zumute. Zur verabredeten Zeit fand ich mich im Kaiserhof ein. Una traf mich in der Eingangshalle, zwischen ausladenden bequemen Sesseln und kleinen Topfpalmen; sie trug die gleiche Kleidung wie am Nachmittag. »Berndt ruht«, sagte sie. Auch sie war müde, und wir beschlossen, im Hotel zu essen. Seit die Restaurants wieder geöffnet waren, schrieb eine neue Verordnung von Goebbels vor, den Gästen Feldküchengerichte anzubieten – aus Solidarität mit den Soldaten an der Front; während der Oberkellner uns das erklärte, haftete sein Blick auf meinen Orden und Ehrenzeichen, und mein Gesichtsausdruck brachte ihn ins Stottern; Unas fröhliches Lachen beendete seine Verlegenheit: »Ich glaube, mein Bruder hat sie schon zur Genüge gegessen.« – »Ja, gewiss«, beeilte er sich zu versichern. »Wir haben außerdem Wild aus dem Schwarzwald. An einer Zwetschensoße. Sehr zu empfehlen.« – »Sehr schön«, sagte ich, »und französischen Wein.« – »Burgunder zum Wild?« Während des Essens sprachen wir über alles Mögliche und mieden das, was uns am meisten interessierte. Ich erzählte ihr wieder von Russland, nicht von den Schrecken, sondern den menschlicheren Erfahrungen:vom Tode Hanikas und vor allem Vossens: »Du hast ihn gern gemocht.« – »Ja, er war ein feiner Kerl.« Sie erzählte von den Matronen, die ihr seit ihrer Ankunft in Berlin auf die Nerven gingen. Sie hatte mit ihrem Mann einen Empfang und einige mondäne Abendessen besucht. Dort zogen die Frauen der Parteibonzen über die Fahnenflüchtigen an der Gebärfront her, die kinderlosen Frauen, die mit ihrem Bauchstreik Verrat an der Natur begingen. Sie lachte: »Natürlich hatte niemand die Unverfrorenheit, mich direkt anzugreifen, weil jeder sehen kann, in welchem Zustand sich Berndt befindet. Zum Glück, denn ich hätte sie geohrfeigt. Aber sie kamen um vor Neugier, strichen um mich herum, wagten aber nicht, mich offen zu fragen, ob es noch klappt .« Wieder lachte sie und trank einen Schluck Wein. Ich sagte nichts, hatte ich mir doch die gleiche Frage gestellt. »Stell dir vor, eine dicke diamantenbehängte Gauleitergattin mit bläulicher Dauerwelle hatte sogar die Frechheit, mir anzubieten, sie werde mir – falls es sich

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