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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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der Querflöte unter Kerzenkathedralen zeigt – ganz so wie an dem Tag, als er Bach empfing –, war abgehängt worden, sicherlich aus Angst vor Bombenangriffen. Ein Stück weiter sahen wir das Gästezimmer, das Voltairezimmer , mit einem winzigenBett, in dem der große Mann in den Jahren geschlafen haben sollte, in denen er Friedrich in der Aufklärung und im Judenhass unterwies; in Wahrheit scheint er aber in der Stadt Potsdam gewohnt zu haben. Amüsiert studierte Una die frivolen Verzierungen: »Für einen König, der nicht einmal mehr seine Stiefel ausziehen konnte, geschweige denn seine Hose, hatte er eine erstaunliche Vorliebe für nackte Frauen. Das ganze Schloss wirkt erotisiert.« – »Damit wollte er sich an all das erinnern, was er vergessen hatte.« Am Ausgang wies sie auf den Hügel, auf dem sich die künstlichen Ruinen abzeichneten, die zu den Schrullen dieses etwas wunderlichen Monarchen gehört hatten: »Möchtest du da hinauf?« – »Nein, lass uns lieber zur Orangerie gehen.« Träge schlenderten wir weiter, ohne sonderlich auf unsere Umgebung zu achten. Wir setzten uns einen Augenblick auf die Terrasse der Orangerie, dann stiegen wir die Stufen hinunter, die die großen Becken und Beete mit ihrer regelmäßigen klassischen, vollkommen symmetrischen Anordnung einrahmten. Dahinter begann wieder der Park, und wir gingen aufs Geratewohl weiter, durch eine der langen Alleen. »Bist du glücklich?«, fragte sie mich. »Glücklich? Ich? Nein. Ich war einmal glücklich. Heute bin ich mit dem zufrieden, was ist, und beklage mich nicht. Warum fragst du mich das?« – »Einfach so, ohne Grund.« Nach einer Weile fuhr sie fort: »Kannst du mir sagen, warum wir seit acht Jahren kein Wort gewechselt haben?« – »Du hast geheiratet«, erwiderte ich und unterdrückte eine zornige Regung. »Ja, aber das war später. Außerdem ist das kein Grund.« – »Für mich schon. Warum hast du ihn geheiratet?« Sie blieb stehen und sah mich aufmerksam an: »Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Aber wenn du es wissen willst, ich liebe ihn.« Jetzt blickte ich sie an: »Du hast dich verändert.« – »Alle verändern sich. Auch du hast dich verändert.« Wir gingen weiter. »Und du, hast du niemanden geliebt?«, fragte sie. »Nein, ich halte meine Versprechen.« – »Ich habedir nie welche gemacht.« – »Das stimmt«, räumte ich ein. »Auf jeden Fall ist dein verbohrtes Festhalten an alten Versprechen keine Tugend. Die Welt verändert sich, und wir müssen uns mit ihr ändern. Du bleibst ein Gefangener der Vergangenheit.« – »Ich würde eher von Treue sprechen.« – »Die Vergangenheit ist vorbei, Max.« – »Die Vergangenheit ist nie vorbei.«
    Wir hatten das Chinesische Teehaus erreicht. Auf dem höchsten Punkt der Rotunde thronte ein Mandarin unter einem Sonnenschirm, über einem blaugoldenen, teilweise auf vergoldeten palmenförmigen Säulen ruhenden Vordach. Ich warf einen Blick ins Innere: ein runder Saal, fernöstliche Bilder. Draußen, am Fuß jeder Palmsäule, saßen exotische Figuren, auch sie vergoldet. »Was für eine Verrücktheit«, meinte ich. »Davon haben die Großen der Welt also einmal geträumt. Etwas lächerlich.« – »Nicht lächerlicher als die Obsessionen der Mächtigen von heute«, antwortete sie ruhig. »Ich mag dieses Jahrhundert sehr. Es ist das einzige, von dem sich wenigstens sagen lässt, dass es kein Jahrhundert des Glaubens war.« – »Von Watteau bis Robespierre«, erwiderte ich ironisch. Sie verzog das Gesicht: »Robespierre ist schon 19. Jahrhundert. Fast ein deutscher Romantiker. Hast du noch immer diese Vorliebe für die französische Musik – Rameau, Forqueray, Couperin?« Mein Gesicht verdüsterte sich, ihre Frage hatte mich jäh an Jakow erinnert, den kleinen jüdischen Pianisten in Shitomir. »Ja«, antwortete ich schließlich. »Aber ich habe schon lange keine Gelegenheit mehr gehabt, sie zu hören.« – »Berndt spielt sie von Zeit zu Zeit. Vor allem Rameau. Er sagt, er sei nicht schlecht, es gebe Klavierstücke, die fast mit Bach mithalten könnten.« – »Das finde ich auch.« Fast die gleiche Unterhaltung hatte ich mit Jakow geführt. Ich sagte nichts mehr. Wir waren am Ende des Parks angekommen; wir machten kehrt und bogen wie auf ein geheimes Zeichen in Richtung Friedenskirche und Ausgang ab.»Und du?«, fragte ich. »Bist du glücklich in deinem pommerschen Nest?« – »Ja, ich bin glücklich.« – »Langweilst du dich nicht? Du musst dich dort doch

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