Die Wohlgesinnten
unsere Waffenbrüder der ersten Stunde«, erwiderte ich. »Wenn das neue Europa entsteht, werden die Italiener als Erste daran beteiligt sein.« Moreau nahm das vollkommen ernst und erboste sich: »Das sind doch Feiglinge! Sie haben uns den Krieg erklärt, als wir schon besiegt waren, um uns ausplündern zu können. Aber ich bin sicher, dass Hitler die Unversehrtheit des französischen Territoriums bewahren wird. Es heißt, er bewundere den Marschall.« Ich zuckte die Achseln: »Der Führer wird Frankreich behandeln, wie es das verdient.« Moreau bekam einen hochroten Kopf. »Max, es reicht«, sagte meine Mutter wieder. »Nimm dir Nachtisch.«
Nach dem Abendessen forderte sie mich auf, mit in ihr Boudoir zu kommen. Das war ein kleiner Salon neben ihrem Schlafzimmer, den sie geschmackvoll eingerichtet hatte; niemand durfte ihn ohne ihre Erlaubnis betreten. Sie kam gleichzur Sache. »Warum bist du hergekommen? Ich warne dich, wenn du nur gekommen bist, um uns auf die Nerven zu gehen, hättest du es besser gelassen.« Wieder fühlte ich mich ganz klein werden; vor dieser gebieterischen Stimme, diesen kalten Augen fühlte ich mich hilflos, wurde erneut zu einem ängstlichen Kind, jünger als die Zwillinge. Ich versuchte, wieder Herr meiner selbst zu werden, aber vergebens. »Nein«, brachte ich schließlich hervor, »ich wollte euch sehen, das ist alles. Ich hatte dienstlich in Frankreich zu tun, und da dachte ich an euch. Außerdem wäre ich fast getötet worden, Mama. Ich weiß nicht, ob ich diesen Krieg überleben werde. Und wir haben so viele Dinge zu klären.« Das besänftigte sie etwas, sie berührte meinen Handrücken mit derselben Bewegung wie meine Schwester: Behutsam zog ich die Hand fort, aber sie schien es nicht zu bemerken. »Du hast Recht. Weißt du, du hättest schreiben können. Das hätte dich nichts gekostet. Ich weiß, dass du meine Wahl missbilligst. Aber wenn das eigene Kind einfach so verschwindet, ist das nicht recht. Das ist, als wenn es stirbt. Verstehst du das?« Sie dachte nach, dann fuhr sie fort, überstürzt, als würde ihr die Zeit knapp. »Ich weiß, dass du mir wegen des Verschwindens deines Vaters böse bist. Dabei müsstest du eigentlich ihm böse sein, nicht mir. Er hat mich und euch im Stich gelassen, er hat mich sitzen lassen; länger als ein Jahr habe ich nicht richtig geschlafen, jede Nacht hat mich deine Schwester geweckt, weil sie Albträume hatte und weinte. Du hast nicht geweint, aber das war fast noch schlimmer. Ich musste ganz allein für euch sorgen, euch ernähren, euch kleiden, euch erziehen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schwer das war. Warum hätte ich Nein sagen sollen, als ich dann Aristide traf? Er ist ein guter Mann, er hat mir geholfen. Was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen? Wo war denn dein Vater? Selbst als er noch da war, war er nie da. Ich musste alles allein machen, euch den Hintern abwischen, euch waschen, euch Essen machen.Dein Vater hat eine Viertelstunde am Tag mit euch verbracht, hat ein bisschen mit euch gespielt, dann ist er wieder zurück zu seinen Büchern und seiner Arbeit. Aber hassen tust du mich.« Meine Empfindungen schnürten mir die Kehle zu: »Aber nein, Mama. Ich hasse dich nicht.« – »Doch, du hasst mich, das weiß ich, das sehe ich. Du bist in dieser Uniform gekommen, um mir zu sagen, wie sehr du mich hasst.« – »Warum ist mein Vater fortgegangen?« Sie atmete tief durch: »Das weiß niemand außer ihm. Vielleicht ganz einfach aus Langeweile.« – »Das glaube ich nicht! Was hast du ihm getan?« – »Ich habe ihm nichts getan, Max. Ich habe ihn nicht davongejagt. Er ist fortgegangen, das ist alles. Vielleicht hatte er genug von mir. Vielleicht hatte er genug von euch.« Die Angst trieb mir das Blut ins Gesicht: »Nein! Das ist unmöglich. Er hat uns geliebt!« – »Ich weiß nicht, ob er jemals gewusst hat, was Liebe ist«, antwortete sie sehr sanft. »Wenn er uns geliebt hätte, wenn er euch geliebt hätte, dann hätte er zumindest geschrieben. Und wenn auch nur, um uns mitzuteilen, dass er nicht wiederkommt. Er hätte uns nicht alle in dieser Ungewissheit, dieser Angst gelassen.« – »Du hast ihn für tot erklären lassen.« – »Das habe ich in erster Linie für euch getan. Um eure Interessen zu wahren. Er hat nie ein Lebenszeichen von sich gegeben, nie an sein Bankkonto gerührt, er hat alles stehen und liegen lassen, ich musste alles regeln, die Konten waren gesperrt, ich bin in große Schwierigkeiten
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