Die Wohlgesinnten
eines Tages, aus nichtigem Anlass erbost, einen Pfeil (wenn auch mit stumpfer Spitze) auf meine Schwester abgeschossen, wobei ich auf ihr Gesicht gezielt hatte; beinahe hätte ich ihr ein Auge ausgeschossen, der Pfeil traf sie unmittelbar darüber. Es schien mir, als ich daran dachte, dass ich anschließend streng von meinem Vater bestraft worden war. Aber wenn er noch da gewesen war, hatte sich dieser Zwischenfall in Kiel zugetragen und nicht hier. Doch in Kiel hatte unser Haus keine Terrasse gehabt, und ich glaubte mich im Zusammenhang mit diesem Vorfall deutlich an die großen Blumentöpfe aus Steingut zu erinnern, die um die Kiesfläche verteilt waren, auf der mich Moreau und meine Mutter gerade empfangen hatten. Ich kannte mich nicht mehr aus, und verärgert über diese Unsicherheit, machte ich kehrt und ging ins Haus zurück. Ich schlenderte durch die Flure, atmete den Geruch der gewachsten Täfelung ein, öffnete hier eine Tür und dort. Von meinem Zimmer abgesehen, schien sich wenig verändert zu haben. Ich gelangte an den Fuß der Treppe, die zum Dachboden führte; auch dort zögerte ich, machte dann kehrt. Ich ging die große Eingangstreppe hinunter und zur Haupttür hinaus. Rasch den Weg verlassend, gelangte ich wieder unter die Parkbäume, streifte über ihre grauen rauen Stämme, die verhärteten, aber immer noch nachgiebigen klebrigen Harzrinnsaleund versetzte den Kiefernzapfen am Boden Fußtritte. Der starke, betäubende Duft der Kiefern erfüllte die Luft, ich wollte rauchen, verzichtete aber darauf, um ihn weiterhin zu riechen. Der Boden war dort nackt, ohne Gras, ohne Büsche, ohne Farne, trotzdem rief er mir nachdrücklich den Wald bei Kiel ins Gedächtnis zurück, wo ich meine seltsamen Kinderspiele gespielt hatte. Ich wollte mich an einen Baum lehnen, doch der Stamm war klebrig, und ich blieb vor ihm stehen, mit hängenden Armen, fortgerissen vom aberwitzigen Wirbel meiner Gedanken.
Das Abendessen verlief unter kurzen, gezwungenen Äußerungen, die im Geklapper der Bestecke und Teller fast untergingen. Moreau beklagte sich über seine Geschäfte und die Italiener und unterstrich überschwänglich seine guten Beziehungen zur deutschen Wirtschaftsverwaltung in Paris. Er versuchte Konversation zu machen, während ich ihm höflich mit kleinen boshaften Spitzen zusetzte. »Welchem Dienstgrad entsprechen die Rangabzeichen auf deiner Uniform?«, fragte er mich. »SS-Sturmbannführer. Das entspricht dem Major in eurer Armee.« – »Ah, Major, das ist gut, du hast Karriere gemacht, Glückwunsch.« Im Gegenzug fragte ich ihn, wo er vor dem Juni 40 gedient habe; ohne sich seiner Lächerlichkeit bewusst zu sein, warf er die Arme in die Luft: »Ach, mein Junge! Wie gern hätte ich gedient. Aber sie haben mich nicht genommen, weil ich zu alt war. Natürlich«, beeilte er sich hinzuzufügen, »haben die Deutschen uns fair besiegt. Und ich billige vorbehaltlos die Politik der Zusammenarbeit des Marschalls.« Meine Mutter sagte nichts; sie verfolgte dieses kleine Spiel mit wachsamen Blicken. Die Zwillinge aßen vergnügt; doch von Zeit zu Zeit veränderte sich ihr Gesichtsausdruck völlig, als fiele ein schwermütiger Schatten auf sie. »Und eure jüdischen Freunde? Wie hießen sie noch? Benahum, glaube ich. Was ist aus ihnen geworden?« Moreau errötete. »Sie sind fort«, antwortete meine Mutterkurz angebunden. »In die Schweiz.« – »Das muss doch für deine Geschäfte ziemlich unangenehm gewesen sein«, fuhr ich, an Moreau gewandt, fort. »Ihr wart Partner, nicht wahr?« – »Ich habe seinen Anteil gekauft«, sagte Moreau. »Oh, sehr schön. Zu einem jüdischen oder einem arischen Preis? Ich hoffe, du hast dich nicht übers Ohr hauen lassen.« – »Das reicht«, sagte meine Mutter. »Aristides Geschäfte gehen dich nichts an. Erzähl uns lieber von deinen Erlebnissen. Du bist in Russland gewesen, nicht wahr?« – »Ja«, sagte ich, plötzlich gedemütigt. »Ich habe den Bolschewismus bekämpft.« – »Ah! Das ist lobenswert«, meinte Moreau salbungsvoll. »Ja, aber die Roten rücken jetzt vor«, sagte meine Mutter. »Ach, mach dir keine Sorgen!«, rief Moreau aus. »Sie kommen nicht bis hierher.« – »Wir haben Rückschläge erlitten«, sagte ich. »Aber die gehen vorüber. Wir entwickeln neue Waffen. Und dann vernichten wir sie.« – »Ausgezeichnet, ausgezeichnet«, sagte Moreau und nickte zur Bekräftigung. »Ich hoffe, ihr nehmt euch gleich danach die Italiener vor.« – »Die Italiener sind
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