Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
Vom Netzwerk:
»Ah, sehr schön. Und was spielen Sie?« – »Ich?« Er streckte Hals und Kopf wie ein Vogel vor. »Ebenfalls Geige, die zweite. Leider spiele ich nicht so gut wie er, da habe ich ihm den Platz überlassen. C…, Obergruppenführer Heydrich, meine ich, nicht Obergruppenführer Kaltenbrunner, den ich gut kenne, wir sind Landsleute, er hat mich zur SS gebracht und erinnert sich noch daran – nein, der Chef spielte herrlich Geige. Ja, wirklich, sehr schön, er hatte außerordentliches Talent. Er war ein fabelhafter Mann, ich hatte große Achtung vor ihm. Sehr … aufmerksam, ein Mann mit großem Einfühlungsvermögen. Ich vermisse ihn.« – »Ich habe ihn kaum gekannt. Und was spielen Sie?« – »Im Augenblick? Vor allem Brahms. Etwas Beethoven.« – »Keinen Bach?« Wieder kniff er die Lippen zusammen: »Bach? Den mag ich nicht besonders. Ich finde ihn trocken, zu … berechnend. Steril, wenn Sie so wollen, sehr schön, natürlich, aber ohne Seele. Ich ziehe die romantische Musik vor, die wühlt mich manchmal auf, ja, sie reißt mich manchmal mit sich fort bis zur Selbstvergessenheit.« – »Ich bin nicht sicher, ob ich Ihre Meinung über Bach teile, aber Ihre Einladung nehme ich gerne an.« Ich dachte in Wahrheit mit Grausen daran, wollte ihn aber nicht vor den Kopf stoßen. »Schön, schön«, sagte er und schüttelte mir die Hand. »Ich bespreche das mit meiner Frau und rufe Sie an. Und machen Sie sich keine Sorgen wegen der Unterlagen. Sie haben sie morgen, bei meinem Wort als SS-Offizier.«
    Blieb mir nur noch, bei Oswald Pohl vorzusprechen, dem großen Organisator des WVHA. Er empfing mich in seinenDiensträumen Unter den Eichen mit überströmender Herzlichkeit und plauderte mit mir über Kiel, wo er viele Jahre bei der Kriegsmarine verbracht hatte. Im Sommer 1933 war der Reichsführer dort im Kasino auf ihn aufmerksam geworden und hatte ihn angeworben. Pohl hatte angefangen, die Verwaltung und Finanzen der SS zu zentralisieren, und dann Schritt für Schritt sein Geflecht von Wirtschaftsunternehmen aufgebaut. »Wie jeder internationale Konzern haben wir uns mehrere Standbeine zugelegt. Wir sind in den Wirtschaftszweigen Baustoffe, Holz, Keramik, Möbel, Verlagswesen und sogar Mineralwasser vertreten.« – »Mineralwasser?« – »Oh! Das ist sehr wichtig. So können wir unsere Waffen-SS in allen Ostgebieten mit Trinkwasser versorgen.« Nach eigenem Bekunden war er besonders stolz auf eine seiner letzten Schöpfungen: Osti, die Ostindustrie GmbH, eine Firma, die er im Distrikt Lublin gegründet hatte, um die Arbeitskraft der verbliebenen Juden in den Dienst der SS zu stellen. Doch trotz seiner Leutseligkeit wurde er sehr vage, sobald ich mit ihm über den Arbeitseinsatz im Allgemeinen sprechen wollte; nach seiner Meinung waren die meisten wirksamen Maßnahmen getroffen, es brauchte nun einfach Zeit, bevor sie griffen. Ich fragte ihn nach den Selektionskriterien, doch er verwies mich an die Verantwortlichen in Oranienburg: »Die kennen sich mit den Einzelheiten besser aus. Aber ich kann Ihnen versichern, dass seit der Medikalisierung der Selektion alles reibungslos funktioniert.« Er teilte mir mit, dass der Reichsführer über all diese Probleme umfassend informiert sei. »Daran zweifle ich nicht, Obergruppenführer«, erwiderte ich. »Doch der Reichsführer hat mich beauftragt zu überprüfen, wo die Abläufe blockiert sind und welche Verbesserungen möglich sind. Die Eingliederung unseres KL-Systems in das Ihnen unterstellte WVHA hat beträchtliche Veränderungen bewirkt, und die von Ihnen befohlenen oder angeregten Maßnahmen haben sich zusammen mit Ihren Personalentscheidungenäußerst positiv ausgewirkt. Nach meiner Meinung möchte der Reichsführer jetzt einfach einen Gesamtüberblick haben. Ich zweifle nicht einen Augenblick daran, dass Ihre Vorschläge für die Zukunft enorm ins Gewicht fallen.« Empfand Pohl meinen Auftrag als Bedrohung? Nach diesen wenigen besänftigenden Worten wechselte er jedenfalls das Thema; wenig später wurde er aber wieder lebhafter und machte sich sogar mit mir auf den Weg, um mich mit einigen seiner Mitarbeiter bekannt zu machen. Er lud mich ein, ihn nach der Rückkehr von meiner Inspektionsreise wieder aufzusuchen (ich sollte demnächst nach Polen aufbrechen und auch einige Lager im Reich besichtigen); er begleitete mich auf den Flur hinaus und fasste mich freundschaftlich um die Schulter; draußen wandte ich mich noch einmal um, und er winkte mir lächelnd hinterher:

Weitere Kostenlose Bücher