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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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haben Sie die denn aufgetrieben?«, fragte ich. »Nicht ich, Sturmbannführer. Das Haus. Der Garagenwart beklagt sich übrigens, er sagt, Juden könne er umsonst kriegen, aber die Offiziere würden sich aufregen, wenn ein Jude ihr Fahrzeug berührt. Deshalb zahlen sie Polen wie diesen da eine Reichsmark pro Tag.« (Selbst in Polen war das eine lächerliche Summe. Eine Übernachtung im Deutschen Haus mit drei Mahlzeiten kostete mich, obwohl bezuschusst, rund zwölf Reichsmark; für einen Mokka bezahlte man in Krakau eins fünfzig.) Gemeinsam mit Piontek sah ich den jungen Polen bei der Wagenwäsche zu. Dann lud ich ihn zum Abendessen ein. Wir mussten uns einen Weg durch das Gedränge bahnen, bis wir in einer Ecke einen freien Tisch fanden. Die Männer tranken und brüllten, als ginge esihnen um das Vergnügen, ihre eigenen Stimmen zu hören. Da waren SS-Männer, Orpos, Wehrmachtssoldaten und Angehörige der Organisation Todt, fast alle in Uniform, darunter auch einige Frauen, vermutlich Schreibkräfte oder Sekretärinnen. Polnische Serviererinnen mit Tabletts voller Bier und Lebensmitteln kamen nur mühsam durch. Die Mahlzeit war opulent: Bratenscheiben, rote Rüben, stark gewürzte Kartoffeln. Beim Essen beobachtete ich das Treiben. Viele tranken nur. Die Serviererinnen hatten es nicht leicht: Die schon betrunkenen Männer, an denen sie vorbeikamen, betatschten ihre Brüste und Hintern, und da sie die Hände voll hatten, konnten sie sich nicht wehren. An der langen Theke stand eine Gruppe in der Uniform der SS-Totenkopfverbände, offenbar Wachpersonal des Lagers Lublin, unter ihnen zwei Frauen, ebenfalls Aufseherinnen, denke ich. Eine von ihnen, mit männlichen Zügen, trank Kognak und lachte viel; sie hielt eine Reitpeitsche in der Hand, mit der sie sich auf die Stiefelschäfte schlug. Einmal war eine der Serviererinnen in ihrer Nähe eingekeilt: Die Aufseherin streckte die Peitsche aus und hob der Polin, unter dem Gelächter ihrer Kameraden, langsam von hinten den Rock bis zum Gesäß hoch. »Das gefällt dir wohl, Erich!«, rief sie aus. »Aber sie hat einen dreckigen Arsch wie alle Polinnen.« Die anderen lachten noch lauter. Sie ließ den Rock herunterfallen und versetzte dem Mädchen einen Hieb mit der Peitsche auf den Hintern, es stieß einen Schrei aus und musste sich anstrengen, kein Bier zu verschütten. »Sieh zu, dass du weiterkommst, du Schlampe!«, schrie die Aufseherin. »Du stinkst.« Die andere Frau gluckste und rieb sich unanständig an einem der Unterführer. Unter einem Schwibbogen im Hintergrund des Saals spielten Orpos unter lautem Gejohle Billard; in ihrer Nähe entdeckte ich die junge Serviererin, die mir das heiße Wasser gebracht hatte, sie saß bei einem Ingenieur der OT auf den Knien, der ihr die Hand unter die Bluse geschoben hatte undsie befummelte, während sie lachte und seine Stirnglatze liebkoste. »Alles, was recht ist«, sagte ich zu Piontek, »tolle Stimmung in Lublin.« – »Ja, ist bekannt dafür.« Nach dem Essen trank ich einen Kognak und rauchte eine kleine holländische Zigarre; das Haus hatte an der Bar eine Auslage, die mir die Wahl zwischen mehreren guten Marken ließ. Piontek war schlafen gegangen. Man hatte Platten aufgelegt, einige Paare tanzten; die zweite, sichtlich betrunkene Aufseherin hatte ihren Kavalier am Hintern gefasst; eine SS-Sekretärin ließ sich von einem Leutnant der Militärverwaltung den Busen küssen. Dieser schmierige, laszive Dunstkreis und die Geräuschkulisse zerrten an meinen Nerven und vergällten mir das Vergnügen an der Reise, das heitere Gefühl der Freiheit, das ich während der Fahrt auf den fast verlassenen Landstraßen genossen hatte. Unmöglich, dieser unangenehmen, schlüpfrigen Atmosphäre zu entgehen, sie verfolgte mich bis auf die Toiletten. Trotzdem war der große Raum bemerkenswert sauber, bis zur Decke weiß gekachelt, mit massiven Eichentüren, Spiegeln, schönen Porzellanbecken und Messinghähnen für fließendes Wasser; auch die Kabinen waren weiß und sauber, offenbar schrubbte man die Stehklosetts regelmäßig. Ich ließ meine Hose runter und hockte mich hin; als ich fertig war, suchte ich nach Papier, es schien keines zu geben; plötzlich spürte ich, dass mich etwas am Hintern berührte; ich machte einen Satz und wandte mich um, die Hose lächerlich heruntergelassen, zitternd, aber nach meiner Dienstwaffe tastend: Eine Männerhand war durch ein Loch in der Wand gestreckt und wartete, die Handfläche nach oben gewendet.

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