Die Wohlgesinnten
sein, aber einige seiner Landschaften haben einen melancholischen Charme. Wir brauchten ungefähr einen halben Tag von Krakau nach Lublin. Unterwegs wechselten sich riesige, eintönige, von Entwässerungsgräben durchschnittene Kartoffeläcker mit Kiefern- und Birkenwäldern ab, die ohne Unterholz auf der kahlen Erde standen, düster und stumm, undurchdringlich für das schöne Junilicht. Piontek fuhr sicher, mit gleichbleibender Geschwindigkeit. Dieser schweigsame Familienvater war ein vortrefflicher Reisegefährte: Er sprach nur, wenn ich das Wort an ihn richtete, und erledigte seine Pflichten ruhig und methodisch. Jeden Morgen fand ich meine Stiefel geputzt und meine Uniform gebürstet und gebügelt vor; wenn ich mein Quartier verließ, wartete der Opel, ohne eine Spur vom Staub oder Schmutz des Vortags. Bei den Mahlzeiten aß Piontek mit Appetit und trank wenig; zwischendurch brauchte er nie etwas. Ich hatte ihm sogleich unsere Reisekasse anvertraut, und er führte sorgfältig Buch, indem er mit einem Bleistiftstummel, den er zwischen den Lippen anfeuchtete, jeden ausgegebenen Pfennig in das Ausgabenheft eintrug. Er sprach ein hartes, aber korrektes Deutsch mit starkem Akzent und konnte sich auch auf Polnisch verständigen. Er war bei Tarnowitz geboren; 1919, nach der Teilung, hatten sich seineFamilie und er plötzlich als polnische Staatsbürger wiedergefunden, aber trotzdem beschlossen zu bleiben, um ihr kleines Stück Land nicht zu verlieren; dann war sein Vater in den unruhigen Tagen vor dem Krieg bei Ausschreitungen ums Leben gekommen: Piontek versicherte mir, es habe sich um einen Unfall gehandelt, und gab seinen ehemaligen polnischen Nachbarn, die nach der Wiederangliederung dieses Teils von Oberschlesien größtenteils vertrieben oder verhaftet worden waren, keine Schuld am Tod seines Vaters. Wieder zum Bürger des Deutschen Reichs geworden, war er eingezogen worden und bei der Polizei gelandet, von der er, ohne recht zu wissen, wie ihm geschah, dem Persönlichen Stab in Berlin zugewiesen worden war. Seine Frau, seine beiden Töchter und seine alte Mutter lebten weiterhin auf dem Hof, daher sah er sie nicht häufig, sandte ihnen aber den größten Teil seines Gehalts; sie schickten ihm dafür etwas zur Aufbesserung der Normalkost, ein Hähnchen, eine halbe Ente, genug, um einige Kameraden zu bewirten. Einmal hatte ich ihn gefragt, ob ihm seine Familie nicht fehle: Vor allem die Mädchen, hatte er geantwortet, er bedaure sehr, dass er sie nicht aufwachsen sehen könne; aber er beklage sich nicht; er wisse wohl, dass er Glück gehabt habe und dass sein Dienst angenehmer sei, als sich in Russland den Arsch abzufrieren. »Mit Verlaub, Sturmbannführer.«
In Lublin quartierte ich mich, wie in Krakau, im Deutschen Haus ein. In der Bar herrschte bei unserer Ankunft schon reges Treiben; ich hatte vorbestellt, mein Zimmer war reserviert; Piontek schlief in einem Mehrbettzimmer für Mannschaften. Ich brachte mein Gepäck hinauf und verlangte heißes Wasser, um mich zu waschen. Zwanzig Minuten später klopfte es an der Tür, und ein junges polnisches Zimmermädchen trat ein mit zwei dampfenden Eimern. Ich wies auf das Badezimmer, und sie ging hinein, um sie abzustellen. Da sie nicht wiederkam, ging ich nachsehen, was sie machte:Ich traf sie halb nackt an, bis zur Taille entkleidet. Verblüfft betrachtete ich ihre roten Wangen, ihre kleinen, aber entzückenden Brüste; die Fäuste in die Hüften gestemmt, blickte sie mir mit einem aufreizenden Lächeln entgegen. »Was machst du da?«, fragte ich sie streng. »Ich … waschen … dich«, antwortete sie in holprigem Deutsch. Ich nahm ihre Bluse von dem Hocker, auf dem sie sie abgelegt hatte, und hielt sie ihr hin: »Zieh dich wieder an und verschwinde!« Genauso unbefangen kam sie meiner Aufforderung nach. So etwas passierte mir zum ersten Mal: Die Deutschen Häuser , die ich kannte, wurden streng geführt; doch offenbar war das hier gängige Praxis, und ich zweifelte nicht einen Augenblick daran, dass keinerlei Verpflichtung bestand, es beim Baden und Waschen bewenden zu lassen. Das Mädchen ging hinaus, ich zog mich aus, wusch mich, legte die Ausgeh-Uniform an (bei langen Fahrten trug ich des Staubs wegen Feldgrau) und ging hinunter. Jetzt füllte eine lärmende Menge Bar und Restaurant. Ich trat auf den Hinterhof hinaus, um zu rauchen, und traf dort Piontek an, der mit einer Zigarette im Mundwinkel dastand und zwei Jugendlichen zusah, die unser Auto wuschen. »Wo
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