Die Wohlgesinnten
logistischen Gründen war es nicht möglich oder praktisch, all die kleinen Städte in der Region zu evakuieren. Deshalb hat der Gruppenführer einige Bataillone Orpos bekommen, die sich an Ort und Stelle mit den Juden befasst haben, nach und nach. Zusammen mit Sturmbannführer Wirth, meinem Inspekteur der Lager, der von Anfang an dabei ist, leite ich die tägliche Arbeit des Einsatzes. Wir haben auch ein Ausbildungslager für Hiwis, Ukrainer und vor allem Letten in Trawniki.« – »Und abgesehen von denen, stammt Ihr gesamtes Personal aus der SS?« – »Ganz und gar nicht. Auf ungefähr vierhundertfünfzig Männer, die Hiwis nicht mitgezählt, kommen hundert, die uns von der Kanzlei des Führers zugewiesen wurden. Fast alle unsere Lagerkommandanten gehören dazu. Operativ unterstehen sie dem Einsatz, verwaltungsmäßig aber der Kanzlei. Sie bestimmt alles, was Gehälter, Urlaubsgenehmigungen, Beförderungen und Ähnliches betrifft. Das scheint eine Sondervereinbarung zwischen dem Reichsführer und Reichsleiter Bouhler zu sein. Einige dieser Männer sind noch nicht einmal Angehörige der Allgemeinen SS oder Parteigenossen. Aber sie alle sind Ehemalige der Euthanasie-Zentren des Reichs; als die meisten dieser Zentren geschlossen wurden, ist ein Teil des Personals, mit Wirth an der Spitze, hierherversetzt worden, damit der Einsatz von ihrer Erfahrung profitieren konnte.« – »Verstehe. Und Osti?« –»Osti ist eine relativ junge Schöpfung, Ergebnis einer Partnerschaft zwischen dem Gruppenführer und dem WVHA. Seit Beginn der ›Aktion Reinhardt‹ mussten wir Zentren für die Weiterverwendung des konfiszierten Anlagevermögens einrichten; nach und nach sind daraus kriegswichtige Industriebetriebe verschiedener Art entstanden. Die Ostindustrie ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die im letzten November gegründet wurde, um all diese Produktionsbetriebe zusammenzufassen und zu rationalisieren. Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsleitung Dr. Horn, einem Verwaltungsbeamten des WVHA, und dem Gruppenführer anvertraut. Horn ist ein pedantischer Bürokrat, aber ziemlich tüchtig, wie ich glaube.« – »Und das KL?« Höfle winkte ab: »Das KL hat nichts mit uns zu tun. Das ist ein normales Lager des WVHA; natürlich trägt der Gruppenführer in seiner Eigenschaft als SS- und Polizeiführer die Verantwortung dafür, aber das ist vom Einsatz vollkommen getrennt. Sie betreiben auch Unternehmen, vor allem eine Fabrik der DAW, aber dafür sind die SS-Wirtschaftsexperten des SSPF verantwortlich. Natürlich arbeiten wir eng zusammen; wir überstellen ihnen einen Teil unserer Juden, entweder zur Arbeit oder zur Sonderbehandlung; und unlängst haben sie, da wir überlastet sind, eigene Einrichtungen zur Sonderbehandlung geschaffen. Dann gibt es noch die Rüstungsunternehmen der Wehrmacht, die ebenfalls von uns gelieferte Juden einsetzen; doch das fällt in die Verantwortung der Rüstungsinspektion im GG, die von Generalleutnant Schindler in Krakau geleitet wird. Die gesamte zivile Wirtschaft schließlich unterliegt der Aufsicht durch den neuen Distriktgouverneur, Gruppenführer Wendler. Sie könnten ihn vielleicht aufsuchen, aber geben Sie acht, er versteht sich überhaupt nicht mit Gruppenführer Globocnik.« – »Die örtliche Wirtschaft interessiert mich nicht; mir geht es um die gesamtwirtschaftliche Verwendungsweise der Häftlinge.« – »Ich denke, ich weiß, wasSie meinen. Dann suchen Sie Horn auf. Er ist zwar ein wenig fahrig, aber er kann Ihnen sicherlich etwas sagen.«
Diesen Horn fand ich nervös, unruhig, voller Übereifer, aber auch Unzufriedenheit. Er war Buchhalter und hatte an der Technischen Hochschule Stuttgart studiert; im Krieg war er zur Waffen-SS einberufen worden, doch statt an die Front, war er ins WVHA gekommen. Pohl hatte ihn zur Gründung der Osti bestimmt, einer Filiale der Deutschen Wirtschaftsbetriebe GmbH, der Dachorganisation, die das WVHA zum Zusammenschluss der SS-Unternehmen gegründet hatte. Er war sehr engagiert, aber einem Mann wie Globocnik konnte er nicht Paroli bieten, und das wusste er. »Als ich herkam, herrschte hier das reinste Chaos … unvorstellbar«, erklärte er mir. »Es gab alles: eine Korbflechterei und Tischlereien in Radom, eine Bürstenfabrik hier in Lublin, eine Glasbläserei. Von Anfang an hatte der Gruppenführer darauf bestanden, ein Arbeitslager für sich zu behalten, zur Selbstversorgung, wie er sagte. Von mir aus, auf jeden Fall gab es viel zu tun.
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