Die Wohlgesinnten
günstigen Augenblick gewählt: Walter Bierkamp, mein ehemaliger Vorgesetzter im Kaukasus, löste Oberführer Schöngarth als BdS des Generalgouvernements ab, woraufhin ich mir, nachdem ich es von Brandt erfahren hatte, eine Einladung zur Amtseinführung besorgt hatte. Das war Mitte Juni 43. Der Festakt fand in Krakau statt, im Innenhof des Wawel, eines prächtigen Gebäudes, auch wenn seine hohen schlanken Säulenreihen jetzt hinter Fahnen verborgen waren. Auf einer hohen Bühne am Ende des Hofes hielt Generalgouverneur Hans Frank eine lange Rede, umgeben von Würdenträgern undeiner Ehrenwache und ein bisschen lächerlich in seiner braunen SA-Uniform mit der hohen, wie ein Ofenrohr geformten Mütze, deren Sturmriemen ihm in die Hängebacken schnitt. Die brutale Ehrlichkeit seiner Rede überraschte mich, das weiß ich noch heute, denn er hatte eine stattliche Zuhörerschaft, nicht nur Vertreter der Sipo und des SD, sondern auch der Waffen-SS, GG-Amtsträger und Offiziere der Wehrmacht. Frank beglückwünschte Schöngarth, der steif hinter ihm stand und Bierkamp um einen Kopf überragte, zu seinem Erfolg bei der Verwirklichung der schwierigen Aspekte des Nationalsozialismus . Da diese Rede in den Archiven überlebt hat, hier ein kleiner Auszug, um einen Eindruck von ihrem Tonfall zu vermitteln: In einer Phase des Krieges, in der der Sieg auf dem Spiel steht, in der wir der Ewigkeit ins Auge blicken, ist das ein außerordentlich schwieriges Problem. Wie, so fragen wir uns häufig, ist das Bedürfnis, mit einer fremden Kultur zusammenzuarbeiten, mit der weltanschaulichen Zielsetzung – sagen wir –, das polnische Volkstum auszulöschen, in Einklang zu bringen? Wie ist das Bedürfnis, eine Industrieproduktion aufrechtzuerhalten, beispielsweise mit dem Bedürfnis zu vereinbaren, die Juden zu vernichten? Das waren vernünftige Fragen, aber ich fand es erstaunlich, dass sie so offen ausgesprochen wurden. Ein GG-Beamter versicherte mir später, Frank äußere sich stets so ungeschminkt, und im Übrigen sei die Judenvernichtung in Polen für niemanden ein Geheimnis. Frank, der ein gut aussehender Mann gewesen sein musste, bevor sein Gesicht im Fett verschwunden war, sprach mit einer kräftigen, aber etwas schrillen, hysterischen Stimme; unaufhörlich stellte er sich auf die Zehenspitzen, streckte seine Wampe über das Rednerpult und gestikulierte mit der Hand in der Luft. Auch Schöngarth, ein Mann mit hoher kantiger Stirn, der mit bedächtiger, ein wenig schulmeisterlicher Stimme sprach, hielt eine Rede, dann folgte Bierkamp, dessen nationalsozialistische Glaubensbekundungenmir etwas heuchlerisch erschienen (doch vermutlich fiel es mir nur schwer, ihm den bösen Streich zu verzeihen, den er mir gespielt hatte). Als ich ihm beim anschließenden Empfang gratulierte, tat er, als freue er sich unbändig, mich zu sehen: »Sturmbannführer Aue! Ich habe von Ihrem Heldentum in Stalingrad gehört. Meinen Glückwunsch! Ich habe nie an Ihnen gezweifelt.« Das Lächeln in seinem kleinen Frettchengesicht erschien mir wie eine Grimasse; aber es war durchaus möglich, dass er seine letzten Worte in Woroschilowsk, die so gar nicht mit meiner neuen Stellung zu vereinbaren waren, wirklich vergessen hatte. Er stellte mir einige Fragen zu meinem Auftrag und sicherte mir die vorbehaltlose Unterstützung seiner Dienste zu, wobei er mir ein Empfehlungsschreiben für seine Untergebenen in Lublin versprach, wo ich meine Inspektion beginnen wollte; zwischen zwei Gläsern erzählte er mir dann, wie er die Gruppe D durch Weißrussland zurückgeführt hatte, wo sie, in Kampfgruppe Bierkamp umgetauft, zur Bandenbekämpfung eingesetzt worden war, vor allem im Norden der Pripjetsümpfe bei den großen Durchkämmungsaktionen, etwa dem »Unternehmen Cottbus«, das zum Zeitpunkt seiner Versetzung nach Polen abgeschlossen worden war. Was Korsemann angehe, so flüsterte er mir vertraulich zu, der habe versagt und sei im Begriff, seinen Posten zu verlieren; es heiße, er habe ein Verfahren wegen Feigheit vor dem Feind zu gewärtigen, zumindest werde er degradiert und zur Bewährung an die Front geschickt. »Er sollte sich an jemandem wie Ihnen ein Beispiel nehmen. Aber seine Gefälligkeiten gegenüber der Wehrmacht kommen ihn teuer zu stehen.« Bei diesen Worten musste ich lächeln: Für einen Mann wie Bierkamp zählte offensichtlich nur der Erfolg. Er selbst hatte sich gar nicht so schlecht aus der Affäre gezogen; BdS war ein wichtiger Posten, vor allem im
Weitere Kostenlose Bücher