Die Wohlgesinnten
›Sie sind einer der verkannten Helden Deutschlands. Ich wollte, man könnte Ihren Namen und Ihre Heldentaten in allen Zeitungen veröffentlichen! In hundert Jahren, wenn wir über all das sprechen können, werden die Kinder in der Grundschule lernen, was Sie geleistet haben! Sie sind ein Recke, und ich bewundere, dass Sie so bescheiden geblieben sind, so zurückhaltend, trotz allem, was Sie geleistet haben.‹ Und ich – der Reichsführer war auch da – darauf: ›Mein Führer, ich habe nur meine Pflicht getan.‹ Nehmen Sie Platz, nehmen Sie Platz.« Ich setzte mich in den Sessel, den er mir anwies; er ließ sich neben mich fallen, klopfte mir auf den Schenkel, griff hinter sich nach einer Kiste Zigarren und bot mir eine an. Als ich ablehnte, bestand er darauf: »Dann heben Sie sie für später auf.« Sich selbst steckte er eine an. Sein Mondgesicht glänzte vor Zufriedenheit. Der massivgoldene SS-Ring an der Hand, die das Feuerzeug hielt, schien in den Wurstfinger eingewachsen zu sein. Voller Wohlbehagen blies er den Rauch in die Luft. »Wenn ich das Schreiben des Reichsführers richtig verstehe, sind Sie eine dieser Nervensägen, die die Juden unter dem Vorwand retten wollen, wir brauchten sie als Arbeitskraft?« – »Ganz und gar nicht, Gruppenführer«, erwiderte ich höflich. »Der Reichsführer hat mir befohlen, die Probleme des Arbeitseinsatzes in ihrer Gesamtheit und im Hinblick auf künftige Entwicklungen zu analysieren.« – »Ich nehme an, Sie möchten unsere Einrichtungen sehen?« – »Wenn Sie von den Gasanlagen sprechen, Gruppenführer, so fallen die nicht in mein Aufgabengebiet. Ich bin vor allem an der Frage der Selektion und des Einsatzes der Arbeitsjuden interessiert. Daher würde ich gerne mit der Osti und den DAW beginnen.« – »Osti! Noch so eine großartige Idee von Pohl! Wir verdienen hier Millionen für das Reich, Millionen, und Pohlwill, dass ich mich als Lumpensammler betätige, wie ein Jude. Ostindustrie, dass ich nicht lache! Noch so ein Mist, den sie mir aufhalsen.« – »Sie haben sicherlich Recht, Gruppenführer, aber …« – »Kein Aber! Auf jeden Fall werden die Juden alle verschwinden, alle, mit oder ohne Industrie. Natürlich kann man ein paar behalten, bis wir die Polen so weit getrimmt haben, dass sie sie ersetzen können. Die Polen sind zwar Sauhunde, aber sie können sich um die Lumpen kümmern, falls das der Heimat nützt. Wenn das was einbringt, bin ich ja gar nicht dagegen. Jedenfalls können Sie sich das alles ansehen. Ich werde Sie meinem Stellvertreter Sturmbannführer Höfle anvertrauen. Er wird Ihnen erklären, wie das hier abläuft, und Sie können alles Weitere mit ihm besprechen.« Er stand auf, die Zigarre zwischen zwei Finger geklemmt, und drückte mir die Hand. »Sie dürfen sich natürlich ansehen, was Sie wollen. Wenn der Reichsführer Sie geschickt hat, dann können Sie den Mund halten. Wer was ausplaudert, wird von mir erschossen. Das passiert hier jede Woche. Aber bei Ihnen habe ich keine Bedenken. Wenn Sie ein Problem haben, kommen Sie zu mir. Adieu.«
Höfle, der stellvertretende Leiter der »Aktion Reinhardt«, war ebenfalls Österreicher, aber erheblich ruhiger als sein Chef. Er empfing mich mit grämlicher, erschöpfter Miene: »Na, durcheinander? Machen Sie sich nichts draus, das macht er mit allen.« Er biss sich auf die Lippe und schob mir ein Blatt Papier zu: »Ich muss Sie bitten, das hier zu unterzeichnen.« Ich überflog den Text: Es war eine mehrere Punkte umfassende Geheimhaltungsverpflichtung. »Ich dachte, ich sei schon durch meine Position zur Geheimhaltung verpflichtet«, sagte ich. »Ich weiß, aber das ist eine Vorschrift des Gruppenführers. Das muss jeder unterschreiben.« Ich zuckte die Achseln: »Wenn es ihm Spaß macht.« Ich unterzeichnete. Höfle schob das Blatt in einen Umschlag und faltete die Hände auf seinem Schreibtisch. »Womit möchten Sieanfangen?« – »Ich weiß nicht. Erklären Sie mir Ihr System.« – »Das ist schnell geschehen. Wir verfügen über drei Einrichtungen, zwei am Bug und eine an der Grenze zu Galazien, in Beec; die soll allerdings geschlossen werden, weil Galizien, von den Arbeitslagern abgesehen, praktisch judenfrei ist. Treblinka, das im Wesentlichen für Warschau zuständig war, wird ebenfalls geschlossen. Doch der Reichsführer hat gerade angeordnet, Sobibor in ein KL umzuwandeln, das soll Ende des Jahres geschehen.« – »Und alle Juden gehen durch diese drei Zentren?« – »Nein. Aus
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