Die Wohlgesinnten
All das war höchst nachlässig betrieben worden. Die Bücher waren nicht auf dem Laufenden. Die Produktion ging gegen null. Was bei dem Zustand, in dem sich die Arbeitskräfte befanden, absolut verständlich war. Da habe ich mich an die Arbeit gemacht. Aber hier haben sie alles versucht, um mir das Leben schwer zu machen. Ich bilde Fachleute aus; sie werden mir weggenommen und verschwinden, Gott weiß, wohin. Ich verlange bessere Verpflegung für die Arbeiter; sie sagen mir, sie hätten keine zusätzlichen Lebensmittel für die Juden. Ich verlange, dass sie wenigstens Schluss damit machen, sie pausenlos zu verprügeln; ich bekomme zu hören, dass ich mich nicht in Dinge einmischen soll, die mich nichts angehen. Wie soll ich unter solchen Bedingungen vernünftig arbeiten?« Ich verstand, warum Höfle nicht viel von Horn hielt: Mit Klagen erreicht man selten etwas. Trotzdem lieferte Horn eine kluge Analyse der Schwierigkeiten: »Das Problemliegt auch darin, dass das WVHA mich nicht unterstützt. Ich schicke einen Bericht nach dem anderen an Obergruppenführer Pohl. Ständig frage ich ihn: Welcher Faktor soll Vorrang haben? Der politisch-polizeiliche? In diesem Falle ist die Konzentration der Juden natürlich das vorrangige Ziel, und die wirtschaftlichen Faktoren haben zurückzustehen. Oder ist es der wirtschaftliche? Wenn ja, müssen wir die Produktion rationalisieren, die Lager flexibel organisieren, um einer veränderlichen Nachfrage gerecht zu werden, und vor allem den Arbeitern ein Existenzminimum an Lebensmitteln garantieren. Und Obergruppenführer Pohl antwortet mir: beides. Es ist zum Haareraufen.« – »Und Sie glauben, wenn man Ihnen die Mittel gäbe, könnten Sie mit jüdischer Zwangsarbeit moderne und gewinnbringende Unternehmen schaffen?« – »Natürlich. Die Juden sind selbstverständlich minderwertig und ihre Arbeitsmethoden vollkommen vorsintflutlich. Ich habe ihre Arbeitsabläufe im Getto von Litzmannstadt studiert, es war eine Katastrophe. Die gesamte Ablaufüberwachung, von der Rohstoffannahme bis zur Auslieferung des Endprodukts, wurde von Juden wahrgenommen. Natürlich gab es keinerlei Qualitätskontrolle. Doch unter einer gut ausgebildeten arischen Aufsicht und einer rationellen, modernen Arbeitsteilung und -organisation könnte man sehr gute Ergebnisse erzielen. Es müsste nur eine entsprechende Entscheidung getroffen werden. Hier stoße ich nur auf Hindernisse, und ich merke sehr wohl, dass ich keinerlei Unterstützung habe.«
Offenbar suchte er die. Er ließ mich mehrere seiner Unternehmen besichtigen und machte kein Geheimnis aus der Unterernährung und der schlechten gesundheitlichen Verfassung der Häftlinge in seiner Obhut, andererseits konnte ich mich aber auch von den Verbesserungen überzeugen, die er eingeführt hatte, von der hohen Qualität und dem gesteigerten Ausstoß der Produkte, die vor allem für die Wehrmachtbestimmt waren. Ich musste zugeben, dass er absolut Überzeugendes vorzuweisen hatte: Es schien tatsächlich die Möglichkeit zu bestehen, den Erfordernissen des Krieges mit einer erhöhten Produktion nachzukommen. Horn war natürlich nicht über die »Aktion Reinhardt« informiert, jedenfalls nicht über deren Umfang, und ich hütete mich, ihm davon zu erzählen; daher war es schwierig, ihm die Gründe für Globocniks Störmanöver zu erklären; dieser musste seinerseits Probleme haben, Horns Forderungen mit dem zu vereinbaren, was er für seine Hauptaufgabe hielt. Trotzdem hatte Horn im Grunde genommen Recht: Wenn die kräftigsten und qualifiziertesten Juden selektiert, zusammengezogen und hinreichend beaufsichtigt wurden, konnten sie sicherlich einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Kriegswirtschaft leisten.
Dann besichtigte ich das KL. Es erstreckte sich am Rande eines gewellten Hügels, unmittelbar vor der Stadt, westlich der Straße nach Zamo. Es war eine riesige Anlage, lange Barackenreihen von einem Ende des Geländes zum anderen, von Stacheldraht eingezäunt und umgeben von Wachtürmen. Die Kommandantur lag außerhalb des Lagers an der Straße, am Fuß des Hügels. Dort wurde ich vom Kommandanten Florstedt empfangen, einem Sturmbannführer mit einem ungewöhnlich schmalen und länglichen Gesicht, der mein Beglaubigungsschreiben mit offenkundigem Misstrauen überprüfte: »Hier ist nicht ausdrücklich vermerkt, dass Sie Zugang zum Lager haben.« – »Meine Befehle gewähren mir Zugang zu allen vom WVHA kontrollierten Einrichtungen. Wenn Sie mir nicht
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