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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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einem Eingang im ersten Stock, zu dem eine doppelte sichelförmige Prunktreppe hinaufführte. Von November bis März seien, so erläuterte er mir, mehr als hunderttausend ausgewiesen und abtransportiert worden – die arbeitsfähigen Polen durch Vermittlung der Sauckel’schen Organisation in deutsche Fabriken, die anderen nach Auschwitz und alle Juden nach Beec. Das RKF wolle sie durch Volksdeutsche ersetzen; doch trotz aller Anreize und natürlichen Reichtümer der Region habe man Mühe, genügend Siedler anzulocken. Als ich ihn fragte, ob unsere militärischen Misserfolge im Osten sie nicht entmutigten – die Unterhaltung fand Anfang Juli statt, als die große Schlacht bei Kursk gerade begonnen hatte –, blickte mich dieser gewissenhafte Verwaltungsbeamte erstaunt an und versicherte mir, dass selbst die Volksdeutschen keine Defätisten seien und dass im Übrigen unsere glänzende Offensive die alten Verhältnisse rasch wiederherstellen und Stalin in die Knie zwingen werde. Trotzdem fand dieser so optimistische Mann nur mutlose Worte für die einheimische Wirtschaft: Trotz Subventionierung sei die Region noch weit von Autarkie entfernt und hänge gänzlich von den Finanzspritzen und Lebensmittellieferungen des RKF ab; den meisten Siedlern, sogar jenen, die ganze Bauernhöfe mit allem Inventar übernommen hätten, gelinge es nicht, ihre Familien zu ernähren; wer sich gar um eine Firmengründung bemühe, brauche Jahre, bis er sich allein über Wasser halten könne. Nach diesem Besuch ließ ich mich von Piontek in den Süden von Himmlerstadt fahren: Es war wirklich eine schöne Gegend, sanfte Hügel mit Grasland und Baumgruppen, dazwischen Obstbäume und fruchtbare Felder, die sich, schon mehr an Galizien als an Polen gemahnend, unter einem eintönig hellblauen Himmel erstreckten, der nur hin und wiedervon kleinen weißen Wolkenkugeln belebt wurde. Aus Neugier fuhr ich bis Beec, einer der letzten Städte vor der Distriktgrenze. Ich ließ in der Nähe des Bahnhofs halten, wo es etwas lebhafter zuging: Autos und Karren fuhren auf der Hauptstraße vorbei, Offiziere verschiedener Waffengattungen und Siedler in fadenscheinigen Anzügen warteten auf einen Zug, am Straßenrand verkauften Bäuerinnen, die eher rumänisch als deutsch aussahen, Kartoffeln auf umgedrehten Holzkisten. Jenseits des Gleises standen Lagerhäuser aus Ziegelsteinen, wohl eine kleine Fabrik; und gleich dahinter, einige Hundert Meter weiter, stieg dichter schwarzer Rauch aus einem Birkenwäldchen auf. Ich zeigte meine Papiere einem SS-Unterführer, der dort stand, und fragte ihn, wo sich das Lager befand: Er zeigte auf den Wald. Ich stieg wieder ins Fahrzeug, und wir fuhren rund dreihundert Meter auf der Landstraße, die an der Bahnstrecke nach Rawa Ruska und Lemberg entlangführte; das Lager befand sich auf der anderen Seite der Schienen, inmitten eines Tannen- und Birkenhochwalds. In den Stacheldrahtzaun waren Äste und Zweige gesteckt worden, um den Blick auf das Innere zu verhindern; teilweise waren sie aber schon wieder entfernt worden, und durch diese Löcher sah man Häftlingstrupps emsig wie Ameisen damit beschäftigt, die Baracken niederzureißen und teilweise auch den Zaun selbst zu beseitigen; der Rauch kam aus einem etwas erhöhten, in der Tiefe des Lagers befindlichen Areal, das dem Blick entzogen war; obwohl es windstill war, verpestete ein süßlicher, ekelerregender Gestank die Luft, der sogar ins Auto drang. Nach allem, was man mir gesagt und gezeigt hatte, war ich der Meinung gewesen, die Lager der »Aktion Reinhardt« lägen an unbewohnten und schwer zugänglichen Orten; dieses hier aber befand sich in der Nähe einer kleinen Stadt, in der es von deutschen Siedlern und ihren Familien nur so wimmelte; die wichtige Bahnverbindung, die Galizien an den Rest des GGanschloss und auf der täglich Zivilisten und Soldaten fuhren, führte direkt an dem Stacheldrahtzaun vorbei, mitten durch den schrecklichen Gestank und den Rauch: Und diese Menschen, Händler, Reisende, schwärmten in alle Richtungen aus, schwätzten, berichteten, schrieben Briefe, verbreiteten Gerüchte oder Witze.
    Vor allem aber redeten die Männer der »Aktion Reinhardt«, trotz Geheimhaltungsverpflichtung und Globocniks Drohungen. Man brauchte nur eine SS-Uniform zu tragen, in die Bar des Deutschen Hauses zu gehen und dort ein paar Gläser zu spendieren, um rasch über alles informiert zu sein. Die merkliche Entmutigung durch die Nachrichten von der Front, die trotz des

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