Die Wohlgesinnten
Grundwasser der Gegend verunreinigte. Dann brachte er mich ins Stammlager zurück, das ich ebenfalls eingehend besichtigen musste; schließlich fuhr er mich auf die andere Seite der Stadt, um mir noch rasch das Lager Auschwitz III zu zeigen, wo die Häftlinge lebten, die für die IG Farben arbeiteten: Dort machte er mich mit Max Faust bekannt, einem Ingenieur der Fabrik, mit dem ich ein Treffen an einem der nächsten Tage vereinbarte. Ich werde hier nicht alle Einrichtungen beschreiben: Sie sind sattsam bekannt und in zahlreichen Büchern beschrieben worden, ich habe dem nichts hinzuzufügen. Wieder im Lager, wollte Höß mich zu einem kleinen Ausritt einladen, aber ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten und träumte von einem Bad; nur mühsam konnte ich ihn dazu bewegen, mich in meine Unterkunft zu entlassen.
Höß hatte mir ein leeres Büro in der Kommandantur des Stammlagers angewiesen. Von dort aus hatte ich einen Blick auf die Soa und ein hübsches würfelförmiges Haus, das, von Bäumen umgeben, auf der anderen Seite der Kasernenstraße stand und der Wohnsitz des Kommandanten und seiner Familie war. Das Haus , in dem ich wohnte, war wesentlichruhiger als das in Lublin: Die Männer, die hier Unterkunft genommen hatten, waren nüchterne Spezialisten, die aus verschiedenen Gründen auf der Durchreise waren; abends kamen Offiziere des Lagers, um ein paar Gläser zu trinken und Billard zu spielen, verhielten sich aber immer korrekt. Das Essen war ausgezeichnet, reichliche Portionen, zu denen bulgarischer Wein und kroatischer Sliwowitz als Digestif gereicht wurden, manchmal gab es sogar Vanilleeis. Neben Höß war mein wichtigster Gesprächspartner der medizinische Leiter, der SS-Standortarzt Sturmbannführer Dr. Eduard Wirths. Er hatte seine Diensträume im SS-Lazarett des Stammlagers, am Ende der Kasernenstraße, gegenüber dem Sitz der Politischen Abteilung und einem Krematorium, das von einem Tag auf den anderen außer Betrieb genommen worden war. Von wacher Intelligenz, mit feinen Gesichtszügen, blassen Augen und gelichtetem Haar, wirkte Wirths erschöpft von der Last seiner Aufgaben, schien aber durchaus gewillt, alle Schwierigkeiten zu überwinden. Seine Obsession war der Kampf gegen den Typhus: Das Lager erlebte bereits die zweite Epidemie binnen eines Jahres, sie hatte das Zigeunerlager dezimiert und gelegentlich sogar die Wachleute der SS oder deren Familien mit bisweilen tödlichem Verlauf heimgesucht. Ich führte stundenlange Gespräche mit ihm. In Oranienburg war er Dr. Lolling unterstellt gewesen und beklagte sich über mangelnde Unterstützung; als ich ihm zu verstehen gab, dass ich seine Meinung teile, schüttete er mir sein Herz aus und schilderte mir, wie unmöglich es war, konstruktiv mit diesem unfähigen und vom Rauschgift vollkommen verblödeten Mann zusammenzuarbeiten. Er selbst kam nicht aus den Reihen der IKL, sondern hatte seit 1939 bei der Waffen-SS an der Front gedient und das Eiserne Kreuz Zweiter Klasse bekommen; dann war er wegen einer ernsthaften Erkrankung für nkv erklärt und zum Lagerdienst versetzt worden. Auschwitz hatte er in einem katastrophalenZustand vorgefunden: Seit fast einem Jahr trieb ihn nun der Wunsch um, die Verhältnisse zu bessern.
Wirths zeigte mir die Berichte, die er monatlich an Lolling schickte: Die Situation in den verschiedenen Teilen des Lagers, die Unfähigkeit bestimmter Ärzte und Offiziere, die Brutalität der Untergebenen und Kapos, die täglichen Behinderungen, die seine Arbeit erfuhr, all das beschrieb er in einer sehr deutlichen und unverblümten Sprache. Er versprach, mir Abschriften seiner letzten sechs Berichte ausfertigen zu lassen. Besonders empört war er darüber, dass Kriminelle verantwortliche Posten im Lager übertragen bekamen: »Ich habe darüber Dutzende von Malen mit Obersturmbannführer Höß gesprochen. Diese ›Grünen‹ sind brutale Burschen, manchmal sogar Psychopathen, sie sind korrupt und terrorisieren die anderen Häftlinge, und das Ganze mit Zustimmung der SS. Das ist unerträglich, ganz zu schweigen von den beklagenswerten Ergebnissen.« – »Wer wäre Ihnen denn lieber? Politische Häftlinge, Kommunisten?« – »Selbstverständlich!« Er nahm beim Aufzählen die Finger zu Hilfe: »Erstens: Sie sind per definitionem Männer mit einem sozialen Gewissen, und selbst wenn sie sich bestechen ließen, würden sie niemals solche Gräueltaten wie die Strafgefangenen begehen. Stellen Sie sich vor, im Frauenlager sind die
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