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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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worden: dem Zusammentreffen dreier Flüsse, die die für die Bunaproduktion erforderlichen Wassermengen liefern konnten; einer großen Ebene, die praktisch unbebaut war (abgesehen von einem polnischen Dorf, das dem Erdboden gleichgemacht worden war) und geologisch ideal, weil erhöht gelegen; dem Schnittpunkt mehrerer Bahnlinien und der Nähe zahlreicher Kohlenbergwerke. Auch das Lager war ein positiver Faktor: Die SS hatte erklärt, sie würde das Projekt mit Vergnügen unterstützen, und zugesagt, Häftlinge zu liefern. Doch der Bau des Werks verzögerte sich, zum Teil, weil es Lieferschwierigkeiten gab, zum Teil auch, weil die Arbeitsleistung der Häftlinge sich als äußerst gering erwies; die Geschäftsleitung war wütend. Vergebens schickte die Fabrik regelmäßig die arbeitsunfähig gewordenen Häftlinge ins Lager zurück, um vertragsgemäß ihre Ersetzung zu fordern – der Zustand der Neuankömmlinge war kaum besser. »Was passiert mit denen, die zurückgeschickt werden?«, fragte ich möglichst unbeteiligt. Schenke sah mich überrascht an: »Ich habe keine Ahnung. Das geht mich nichts an. Ich vermute, sie päppeln sie im Krankenhaus wieder auf. Wissen Sie das denn nicht?« Nachdenklich betrachtete ich diesen hochmotivierten jungen Ingenieur: War es möglich, dass er wirklich nichts wusste? Täglich rauchten die Schornsteine von Birkenau in acht Kilometer Entfernung, und ich wusste wie jeder andere, wie rasch Gerüchte die Runde machten. Doch wenn er nichts wissen wollte, war es ihm möglich, nichts zu wissen. Auch dafür sorgten die Regeln der Geheimhaltung und der Tarnung.
    Wie sie übrigens die beschäftigten Häftlinge behandelten, ließ nicht gerade darauf schließen, dass Schenke und seineKollegen großen Anteil an deren Schicksal nahmen. Auf der riesigen schlammigen Baustelle, die einmal die Fabrik werden sollte, schleppten rachitische, zerlumpte Häftlinge im Laufschritt und unter den Schreien und Schlägen der Kapos Balken und Zementsäcke, die viel zu schwer für sie waren. Wenn ein Arbeiter in seinen klobigen Holzpantinen strauchelte und seine Last fallen ließ oder unter ihr zusammenbrach, schlugen die Kapos noch heftiger auf ihn ein, bis frisches rotes Blut auf den öligen Schlamm spritzte. Einige standen nicht wieder auf. Es herrschte ein infernalischer Lärm, alles brüllte, die SS-Unterführer, die Kapos; die geschlagenen Häftlinge schrien erbarmungswürdig. Schenke führte mich durch diese Gehenna, ohne darauf auch nur im Geringsten zu achten. Hin und wieder blieb er stehen und besprach etwas mit anderen Ingenieuren in tadellos gebügelten Anzügen, die gelbe Zollstöcke und kleine kunstlederne Notizbücher in Händen hielten, in die sie Zahlen schrieben; sie sprachen über die Fortschritte beim Bau einer Mauer, dann wandte sich einer von ihnen mit ein paar halblauten Worten an einen Rottenführer, der augenblicklich zu schreien anfing und sich mit Kolben und Stiefeln erbarmungslos über einen Kapo hermachte; der Kapo seinerseits stürzte sich brüllend in die Masse der Häftlinge und schlug wie rasend auf sie ein; und die Häftlinge unternahmen einen Versuch, ihr Arbeitstempo zu steigern, was jedoch unmöglich war, weil sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnten. Dieses System erschien mir äußerst ineffizient; als ich Schenke das mitteilte, zuckte er die Achseln und blickte sich um, als sähe er diese Szene zum ersten Mal: »Sie verstehen doch nichts anderes als Schläge. Wie sollen wir mit solchen Arbeitskräften anders verfahren?« Wieder betrachtete ich die unterernährten Häftlinge in ihren von Schlamm, schwarzem Schmierfett und der Ruhr beschmutzten Lumpen. Ein polnischer »Roter« blieb einen Augenblick vor mir stehen, ich sah, wie sich an seinemHosenboden und an der Rückseite seines Hosenbeines ein brauner Fleck bildete; da nahm er seinen hastigen Trab wieder auf, bevor sich ein Kapo nähern konnte. Auf ihn zeigend, fragte ich Schenke: »Glauben Sie nicht, dass mehr auf die Hygiene geachtet werden müsste? Ich spreche nicht nur vom Geruch, es ist auch gefährlich, das leistet Epidemien Vorschub.« Schenke machte ein etwas hochmütiges Gesicht und sagte: »Das fällt alles in die Zuständigkeit der SS. Wir bezahlen das Lager dafür, dass es uns arbeitsfähige Häftlinge schickt. Für deren Reinlichkeit, Ernährung und pflegliche Behandlung hat das Lager zu sorgen. Das ist Teil der Kostenpauschale.« Ein anderer Ingenieur, ein dicker Schwabe, der in seinem zugeknöpften

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