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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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ähnelte er einem Vogel; gleichzeitig entstellte ein nervöser Tick sein Lächeln, so dass es eher wie eine Grimasse aussah. »Ja, danke, auf den Einsatz. Und auf Ihr Projekt.«
    Ich formulierte den Text in zwei Tagen; Isenbeck hatte schöne detaillierte Tabellen für die Anhänge angefertigt, und die Argumente von Rizzi übernahm ich fast unverändert. Ich war noch nicht ganz fertig, als Brandt mich zu sich rief. Der Reichsführer werde sich in den Warthegau begeben, um wichtige Reden zu halten; am 6. Oktober finde dort eine Konferenz der Reichs- und Gauleiter statt, bei der auchDr. Mandelbrod anwesend sein würde; und dieser habe darum gebeten, mich auch einzuladen. Wie weit ich mit meinem Projekt sei? Ich versicherte ihm, dass ich fast fertig sei. Ich müsse den Bericht, bevor ich ihn den in Frage kommenden Dienststellen schicke, nur noch meinen Kameraden vorlegen. Mit Weinrowski hatte ich schon darüber gesprochen und ihm Isenbecks Tabellen einfach als grafische Darstellung seiner Ideen verkauft: Er schien damit völlig einverstanden zu sein. Auch die Gesamtsitzung verlief reibungslos; meistens ließ ich Rizzi sprechen und begnügte mich zu betonen, dass ich das mündliche Einverständnis des RSHA hätte. Gorter schien zufrieden zu sein und fragte lediglich, ob unsere Vorschläge auch weit genug gingen; Alicke war von den wirtschaftlichen Darlegungen Rizzis offenbar überfordert; Jedermann brummelte, das werde trotzdem kostspielig werden und woher man das Geld nehmen solle? Aber er beruhigte sich, als ich ihm versicherte, das Projekt werde, wenn es erst einmal bewilligt sei, mit zusätzlichen Krediten finanziert. Ich bat alle um eine schriftliche Antwort ihrer Amtschefs bis zum 10. des Monats, da ich damit rechnete, dann wieder in Berlin zu sein; eine Kopie ließ ich Eichmann zugehen. Brandt hatte durchblicken lassen, dass ich das Projekt sicherlich dem Reichsführer persönlich erläutern könnte, sobald die Ämter ihre Zustimmung gegeben hätten.
     
    Am Spätnachmittag des Abreisetages begab ich mich zum Prinz-Albrecht-Palais. Brandt hatte mich zu einer Rede Speers eingeladen; anschließend sollte ich mich in dem Sonderzug, der für die hohen Tiere bestimmt war, Dr. Mandelbrod anschließen. In der Eingangshalle nahm mich Ohlendorf in Empfang, den ich seit seiner Abreise von der Krim nicht mehr wiedergesehen hatte. »Dr. Aue! Freue mich, Siezu sehen. Offenbar sind Sie seit Monaten in Berlin. Warum haben Sie mich nicht angerufen? Ich hätte Sie gern einmal wieder getroffen.« – »Entschuldigen Sie, Brigadeführer, ich hatte fürchterlich viel zu tun. Sie auch, nehme ich an.« Es ging eine spürbare Intensität von ihm aus, eine dunkle geballte Energie, die er förmlich ausstrahlte. »Brandt hat Sie zu unserer Konferenz entsandt, nicht wahr? Wenn ich recht verstanden habe, kümmern Sie sich um Produktivitätsfragen.« – »Ja, aber nur soweit die Häftlinge der Konzentrationslager betroffen sind.« – »Verstehe. Heute Abend werden wir ein neues Kooperationsabkommen zwischen dem SD und dem Rüstungsministerium abschließen. Allerdings ist der Vertragsgegenstand etwas umfangreicher; unter anderem schließt er auch die Behandlung der Fremdarbeiter ein.« – »Sie sind jetzt am Wirtschaftsministerium, Brigadeführer, nicht wahr?« – »Ja. Meine Ämter häufen sich. Schade, dass Sie kein Volkswirt sind: Mit diesem Abkommen wird sich für den SD ein ganz neues Gebiet eröffnen, hoffe ich. Kommen Sie, gehen wir hinein, es geht gleich los.«
    Der Vortrag fand in einem der großen getäfelten Säle des Palais statt, in dem sich der nationalsozialistische Fahnenschmuck nicht so recht mit der gediegenen Holzverkleidung und den vergoldeten Kandelabern aus dem 18. Jahrhundert vertragen wollte. Mehr als hundert SD-Offiziere waren anwesend, unter ihnen viele meiner ehemaligen Kameraden: Siebert, mit dem ich auf der Krim im Einsatz gewesen war, Regierungsrat Neifend, der früher im Amt II gearbeitet hatte, inzwischen aber Gruppenleiter im Amt III geworden war, und viele andere. Ohlendorf hatte seinen Platz in der Nähe des Podiums, neben einem Mann in der Uniform eines SSObergruppenführers, mit hoher Stirn und festen, entschlossenen Gesichtszügen: Karl Hanke, Gauleiter von Niederschlesien, der bei diesem Festakt den Reichsführer vertrat. Reichsminister Speer traf mit geringer Verspätung ein. Ichfand ihn erstaunlich jugendlich, schlank und kräftig, auch wenn sein Haar sich bereits zu lichten begann; er trug einen

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