Die Wohlgesinnten
Herrenbreeches an und war mindestens ein paar Zentimeter größer als ich. Ich fragte mich, wo Mandelbrod all seine Helferinnen rekrutierte: Er musste eine Sonderregelung mit dem Reichsführer haben. Die Frau begrüßte mich: »Sturmbannführer, Dr. Mandelbrod erwartet Sie.« Sie schien mich wiedererkannt zu haben; ich sie nicht; allerdings ähnelten sie sich wirklich alle ein wenig. Sie nahm mein Gepäck und führte mich in ein tapeziertes Vorzimmer, von dem aus ein Flur nach links führte. »Ihr Abteil ist das zweite rechts«, teilte sie mir mit. »Ich stelle Ihre Sachen dort ab. Dr. Mandelbrod finden Sie hier.« Automatisch öffnete sich am Ende des Gangs eine doppelte Schiebetür. Ich trat ein. Mandelbrod, wie gewöhnlich in seinen entsetzlichen Gestank getaucht, saß in seinem riesigen, auf die rollende Stahlplatte montierten Sessel, der dank der Spezialtüren in den Waggon gehoben werden konnte; neben ihm saß auf einem kleinen Rokokosessel, die Beine lässig übereinandergeschlagen, Minister Speer. »Ah, Max, da bist du ja!«, begrüßte mich Mandelbrod mit seiner melodischen Stimme. »Komm her, komm.« In dem Augenblick, als ich vortreten wollte, strich mir eine Katze um die Stiefel, sodass ich um Haaresbreite gestolpert wäre; ich fing mich wieder und grüßte Speer, dann Mandelbrod. Dieser wandte sich an den Minister: »Mein lieber Speer, ichmöchte Ihnen Dr. Aue, einen meiner jungen Schützlinge, vorstellen.« Speer musterte mich unter seinen buschigen Augenbrauen und wand sich aus seinem Sessel; zu meiner Überraschung trat er vor und gab mir die Hand: »Sehr erfreut, Sturmbannführer.« – »Dr. Aue arbeitet für den Reichsführer«, erläuterte Mandelbrod. »Er versucht, die Produktivität unserer Konzentrationslager zu verbessern.« – »Ah, ja«, sagte Speer, »sehr schön. Und, haben Sie Erfolg?« – »Ich beschäftige mich mit dieser Frage erst seit einigen Monaten, Herr Minister, und spiele dabei nur eine höchst bescheidene Rolle. Aber insgesamt sind bereits große Anstrengungen unternommen worden. Ich denke, Sie müssten die Resultate bereits bemerkt haben.« – »Oh ja, sicher. Erst kürzlich habe ich mit dem Reichsführer darüber gesprochen. Wir waren uns einig, dass noch weitere Verbesserungen erzielt werden könnten.« – »Ganz gewiss, Herr Minister. Wir bemühen uns nach Kräften.« Es trat eine Pause ein; offenbar suchte er nach einem Gesprächsstoff. Sein Blick fiel auf meine Ehrenzeichen: »Sie sind an der Front gewesen, Sturmbannführer?« – »Jawohl, Herr Minister. In Stalingrad.« Sein Blick verdüsterte sich, er senkte die Augen; sein Unterkiefer begann leise zu zittern. Dann richtete er wieder seine durchdringenden, forschenden Augen auf mich, die, wie ich zum ersten Mal bemerkte, von den Spuren tiefer Erschöpfung umschattet waren. »Mein Bruder Ernst ist in Stalingrad verschollen«, sagte er mit ruhiger, leicht angespannter Stimme. Ich machte eine knappe Verbeugung: »Das tut mir sehr leid, Herr Minister. Mein aufrichtiges Beileid. Wissen Sie, wie er gefallen ist?« – »Nein, ich weiß noch nicht einmal, ob er tot ist.« Er klang distanziert, fast gleichgültig. »Unsere Eltern haben Post bekommen, er war krank, im Lazarett. Die Verhältnisse waren … entsetzlich. In seinem vorletzten Brief hat er geschrieben, er halte es nicht mehr aus und wolle zu den Kameraden in seiner Batterie zurück. Dabei war er fast nkv.« – »Dr. Aue ist inStalingrad schwer verwundet worden«, warf Mandelbrod ein. »Aber er hat Glück gehabt, er konnte noch rausgebracht werden.« – »Ja …«, sagte Speer. Er hatte jetzt einen gedankenverlorenen, fast abwesenden Gesichtsausdruck. »Ja … Sie haben Glück gehabt. Seine ganze Einheit ist seit der russischen Januaroffensive verschollen. Er ist sicherlich tot. Ganz bestimmt. Meine Eltern haben sich noch immer nicht davon erholt.« Wieder blickte er mir starr in die Augen. »Er war der Lieblingssohn meines Vaters.« Verlegen murmelte ich eine weitere Höflichkeitsfloskel. Hinter Speer sagte Mandelbrod: »Unsere Rasse leidet, mein lieber Freund. Wir müssen ihre Zukunft sichern.« Speer nickte und blickte auf seine Uhr. »Wir werden gleich abfahren. Ich gehe in mein Abteil.« Wieder reichte er mir die Hand: »Auf Wiedersehen, Sturmbannführer.« Ich schlug die Hacken zusammen und grüßte, aber er schüttelte schon Mandelbrod die Hand, der ihn zu sich heranzog und leise etwas sagte, was ich nicht verstand. Speer hörte aufmerksam zu, nickte und
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