Die Wohlgesinnten
ging. Mandelbrod wies auf den Sessel, den Speer verlassen hatte: »Setz dich, setz dich. Hast du zu Abend gegessen? Hast du Hunger?« Lautlos öffnete sich eine zweite Doppeltür im Hintergrund des Salons, und eine junge Frau in SS-Uniform erschien, der ersten zum Verwechseln ähnlich, aber sie musste eine andere sein – wenn diejenige, die mich empfangen hatte, nicht außen um den Waggon herumgegangen war. »Möchten Sie etwas zu sich nehmen, Sturmbannführer?«, fragte sie. Der Zug hatte sich langsam in Bewegung gesetzt und verließ den Bahnhof. Die Vorhänge verbargen die Fenster, der Salon wurde vom warmen goldenen Licht mehrerer kleiner Lüster erhellt; in einer Kurve verschoben sich die Vorhänge, ich sah hinter der Scheibe das Metallrouleau und vermutete, dass der Waggon gepanzert war. Die junge Frau erschien wieder und stellte ein Tablett mit belegten Broten und Bier neben mir auf einen Klapptisch, den sie geschickt mit einer Hand aufgerichtethatte. Während ich aß, fragte mich Mandelbrod nach meiner Arbeit; mein Bericht vom August habe ihm sehr gefallen und er erwarte gespannt die Ergebnisse meines derzeitigen Projekts; über die meisten Einzelheiten schien er bereits Bescheid zu wissen. Herr Leland interessiere sich besonders für die Fragen der individuellen Arbeitsleistung, fügte er hinzu. »Reist Herr Leland mit uns, Herr Doktor?«, fragte ich. »Er wird in Posen zu uns stoßen«, antwortete Mandelbrod. Leland hielt sich bereits im Osten auf, in Schlesien, an den Orten, die ich besichtigt hatte und wo die beiden beträchtliche Industriebeteiligungen hielten. »Es ist sehr gut, dass du Minister Speer kennengelernt hast«, sagte er zerstreut. »Das ist ein Mann, mit dem man sich gut stellen muss. Die SS und er müssen sich näherkommen.« Wir unterhielten uns noch ein wenig, ich beendete mein Essen und trank mein Bier; Mandelbrod streichelte eine Katze, die ihm auf die Knie geklettert war. Dann durfte ich mich zurückziehen. Ich durchquerte das Vorzimmer und ging in mein Abteil. Es war geräumig, hatte einen bequemen Liegeplatz, der schon für die Nacht vorbereitet war, ein Arbeitstischchen und ein Waschbecken mit Spiegel. Ich schlug den Vorhang zur Seite: Auch hier verschloss ein Stahlrouleau das Fenster, es schien keine Möglichkeit zu geben, es zu öffnen. Ich verzichtete aufs Rauchen und legte Waffenrock und Hemd ab, um mich zu waschen. Mit einem hübschen kleinen Stück parfümierter Seife, das neben dem Waschbecken gelegen hatte, seifte ich mir gerade das Gesicht ein – es gab sogar heißes Wasser –, als es an der Tür klopfte. »Einen Augenblick!« Ich trocknete mich ab, zog mein Hemd wieder an, fuhr in meinen Waffenrock, ohne ihn zuzuknöpfen, und öffnete. Eine der Assistentinnen stand im Gang und blickte mich mit ihren hellen Augen an, ein kleines Lächeln auf den Lippen, so unaufdringlich wie das Parfüm, das ich mehr ahnte als roch. »Guten Abend, Sturmbannführer«, sagte sie. »Sind Sie zufrieden mitIhrem Abteil?« – »Ja, sehr.« Sie blickte mich unverwandt an, fast ohne zu blinzeln. »Wenn Sie es wünschen«, sagte sie, »könnte ich Ihnen während der Nacht Gesellschaft leisten.« Dieses unerwartete Angebot, in demselben Tonfall vorgebracht wie vorher die Frage, ob ich etwas zu mir nehmen wolle, brachte mich, ich muss es gestehen, ein wenig aus der Fassung: Ich spürte, wie ich rot wurde, und suchte zögernd nach einer Antwort. »Ich glaube nicht, dass Dr. Mandelbrod damit einverstanden wäre«, sagte ich schließlich.« – »Ganz im Gegenteil«, erwiderte sie in dem gleichen liebenswürdigen und gelassenen Tonfall, »Dr. Mandelbrod wäre sehr froh darüber. Er ist fest davon überzeugt, dass jede Gelegenheit zur Erhaltung unserer Rasse genutzt werden muss. Ihre Arbeit würde natürlich nicht im Mindesten beeinträchtigt, falls ich schwanger würde: Die SS besitzt spezielle Einrichtungen für solche Fälle.« – »Ja, ich weiß«, sagte ich. Ich fragte mich, was sie täte, wenn ich auf ihr Angebot einginge: Ich hatte den Eindruck, sie würde eintreten, sich wortlos ausziehen und nackt auf dem Bett warten, bis ich meine Toilette beendet hätte. »Das ist wirklich ein sehr verlockendes Angebot«, sagte ich schließlich, »und ich bedaure sehr, es ablehnen zu müssen. Aber ich bin sehr müde, und der morgige Tag wird sicherlich sehr anstrengend werden. Vielleicht haben wir ein andermal mehr Glück.« Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, vielleicht blinzelte sie ein- oder
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