Die Wohlgesinnten

Aussichten, uns am Donez zu halten, hatten bereits Brjansk, Smolensk, Poltawa und Krementschug verloren, die Krim war bedroht, kurzum, jeder konnte erkennen, dass die Lage äußerst bedenklich war, und sicherlich fragten sich viele, wie es weitergehen sollte, nicht nur mit Deutschland ganz allgemein, sondern natürlich auch mit ihnen, woraus sich eine gewisse Wirksamkeit dieser englischen Propaganda erklärte, die nicht nur die namentlich Genannten demoralisierte, sondern auch andere, noch nicht Genannte, veranlasste, darüber nachzudenken, dass das Ende des Reiches nicht automatisch auch ihr eigenes Ende bedeuten müsse, sodass das Gespenst der Niederlage ein bisschen weniger undenkbar wurde, woraus sich, wie sich vorstellen lässt – zumindest soweit es die Spitzen der Partei, der SS und der Wehrmacht betraf –, die Notwendigkeit ergab, ihnen klarzumachen, dass eine eventuelle Niederlage sie auch persönlich beträfe – alles, um sie wieder ein wenig neu zu motivieren –, ihnen klarzumachen, dass die angeblichen Verbrechen der einen in den Augen der Alliierten die Verbrechen aller sein würden, zumindest soweit es den Apparat betraf, dass alle Schiffe brannten oder – wenn man das vorzieht – alle Brücken abgebrochen waren, dass kein Weg zurück mehr möglich war und dass das einzige Heil im Sieg lag. Und tatsächlich hätte der Sieg alles ins Lot gebracht, denn wenn wir gewonnen hätten – stellt euch das einen Augenblick vor –, wenn Deutschland den Roten den Garaus gemacht und die Sowjetunionvernichtet hätte, dann wäre nie mehr von Verbrechen die Rede gewesen, oder vielmehr doch, aber von bolschewistischen Verbrechen, fein säuberlich dokumentiert dank der eroberten Archive (das Archiv des NKWD in Smolensk, nach Deutschland überführt und bei Kriegsende den Amerikanern in die Hände gefallen, spielte genau diese Rolle, als endlich die Zeit gekommen war, in der fast von einem Tag auf den anderen den braven demokratischen Wählern erklärt werden musste, warum die grässlichen Ungeheuer von gestern nun als Bollwerk gegen den heldenhaften Verbündeten von gestern dienen mussten, der sich heute als noch schrecklicheres Ungeheuer entpuppt), vielleicht sogar – um fortzufahren – in ordentlichen Strafverfahren, warum nicht, in Prozessen gegen die bolschewistischen Führer, stellt euch das vor, um seriös zu erscheinen, wie es die Absicht der Engländer und Amerikaner war (Stalin hat sich bekanntlich über diese Prozesse lustig gemacht, er sah in ihnen das, was sie waren, eine Heuchelei, und noch dazu eine überflüssige), und anschließend hätte sich alle Welt, Engländer und Amerikaner allen voran, wieder mit uns arrangiert, die Diplomatie hätte sich mit den neuen Realitäten abgefunden, und das trotz des unvermeidlichen Geschreis der Juden in New York, während die europäischen, die ohnehin keiner vermisst hätte, hinter Gewinn und Verlust verblasst wären, wie auch alle anderen Toten, Zigeuner, Polen, was weiß ich, dichtes Gras wächst auf den Gräbern der Besiegten, und niemand verlangt Rechenschaft vom Sieger, ich sage das nicht, um uns zu rechtfertigen, nein, es ist die einfache und schreckliche Wahrheit, schaut euch doch Roosevelt an, diesen honetten Mann, mit seinem lieben Freund Uncle Joe, und wie viele Millionen hatte Josef Stalin da schon umgebracht, 1941 oder sogar vor 1939, weit mehr als wir, das steht fest, und selbst wenn wir eine Gesamtrechnung aufmachen, riskiert er, an der Spitze zu bleiben, mit der Zwangskollektivierung, der Ausrottung derKulaken, den großen Säuberungen und den Deportationen ganzer Völker in den Jahren 1943 und 1944, das war damals durchaus bekannt, die ganze Welt wusste in den dreißiger Jahren mehr oder weniger, was in Russland passierte, auch Roosevelt, dieser Menschenfreund, wusste das, was ihn aber nie daran hinderte, die Treue und Menschlichkeit Stalins zu preisen, übrigens trotz der wiederholten Warnungen Churchills, der in gewisser Hinsicht etwas weniger naiv, in anderer etwas weniger realistisch war – wenn wir also tatsächlich diesen Krieg gewonnen hätten, wäre sicherlich das Gleiche geschehen, nach und nach, die Verbohrten, die nicht aufgehört hätten, uns die Feinde des Menschengeschlechts zu nennen, wären einer nach dem anderen verstummt, mangels Publikum, und die Diplomaten hätten die Wogen geglättet, denn schließlich heißt es nicht umsonst Krieg ist Krieg und Schnaps ist Schnaps , das ist der Lauf der Welt. Vielleicht hätte man unsere