Die Wohlgesinnten
Gesandtschaft hatte ich Verbindung zum Industrie- und Landwirtschaftsministerium aufgenommen, um dessen Auffassung in Erfahrung zu bringen; ich machte mich mit den neuen Gesetzen vertraut, wobei mir der Botschaftsexperte Herr von Adamovic half, ein liebenswürdiger intelligenter Mann, der aber von seinem Ischiasleiden und der Athritis fast gelähmt war. Währenddessen blieb ich in Verbindung mit meiner Dienststelle in Berlin. Speer, dessen Geburtstag auf denselben Tag wie der Eichmanns fiel, hatte Hohenlychen verlassen, um sich in Meran zu erholen; ich hatte ihm ein Glückwunschtelegramm und Blumen schicken lassen, aber keine Antwort bekommen. Ich hatte auch eine Einladung zu einer Arbeitstagung der Judenreferenten und Arisierungsberater erhalten, die Dr. Franz Six, mein allererster Abteilungsleiter im SD, in Schlesien durchführte. Er arbeitete jetzt im Auswärtigen Amt, half aber noch von Zeit zu Zeit imRSHA aus. Auch Thomas war eingeladen, ebenso wie Eichmann und einige seiner Fachleute. Ich richtete es so ein, dass ich mit ihnen reisen konnte. Unsere Gruppe fuhr mit dem Zug über Pressburg nach Breslau, wo wir in den Zug nach Hirschberg umstiegen; die Konferenz fand in Krummhübel statt, einem bekannten Wintersportort im Riesengebirge, jetzt großenteils von den Dienststellen des AA belegt – unter anderem auch der von Six –, die der Bombenangriffe wegen aus Berlin evakuiert worden waren. Man brachte uns in einem Gasthaus unter, das aus allen Nähten platzte; die neuen Baracken für das AA waren noch nicht fertig. Ich freute mich, Thomas wiederzusehen, der vor mir angekommen war und die Gelegenheit nutzte, um Ski zu laufen mit jungen hübschen Sekretärinnen und Assistentinnen – unter anderem einer jungen Russin, mit der er mich bekannt machte; sie alle schienen nicht allzu viel zu tun zu haben. Eichmann traf Kameraden aus ganz Europa wieder und spielte sich mächtig auf. Die Tagung begann am Tag nach unserer Ankunft. Six eröffnete die Debatte mit einer Rede über » Aufgaben und Ziele der antijüdischen Auslandsaktion «. Er beschrieb uns die politische Struktur des Weltjudentums und versicherte, das Judentum in Europa habe seine biologische und gleichzeitig seine politische Rolle ausgespielt . Außerdem flocht er eine interessante Abschweifung über den Zionismus ein, der damals in unseren Kreisen noch nicht recht bekannt war; Six vertrat die Ansicht, die Frage der Rückführung der in Palästina verbliebenen Juden müsse der arabischen Frage untergeordnet werden, die nach dem Krieg an Bedeutung gewinnen würde, vor allem wenn sich die Briten aus einem Teil ihres Empire zurückziehen würden. Nach ihm hielt ein Fachmann des Auswärtigen Amts, ein gewisser von Thadden, ein Referat mit dem Titel » Die judenpolitische Lage in Europa, Übersicht über den Stand der antijüdischen Exekutivmaßnahmen «, in dem er die Auffassung seines Ministeriumsdarlegte. Thomas sprach von den Sicherheitsproblemen, die durch die jüdischen Aufstände des Vorjahres aufgeworfen worden waren. Andere Fachleute oder Berater schilderten die aktuelle Lage in den Ländern, in denen sie Dienst taten. Doch der Höhepunkt der Tagung war Eichmanns Rede. Der ungarische Einsatz schien ihn zu inspirieren, er entwarf uns nahezu ein Gesamtbild der antijüdischen Operationen, wie sie sich seit den Anfängen entwickelt hatten. Rasch ließ er das Scheitern der Gettoisierung Revue passieren und kritisierte die Wirkungslosigkeit und das Durcheinander der mobilen Operationen: »Gleichgültig, mit welchen Erfolgen sie zu Buche schlagen, sie bleiben vereinzelt, sie ermöglichen zu vielen Juden, zu fliehen, in die Wälder zu gelangen, um sich den Partisanen anzuschließen, und sie untergraben die Moral der Truppe.« Der Erfolg im Ausland hänge von zwei Faktoren ab: der Mobilisierung der einheimischen Behörden und der Kooperation oder sogar Kollaboration der Vertreter der jüdischen Gemeindevorstände. »Um einen Eindruck davon zu bekommen, was geschieht, wenn wir selbst versuchen, die Juden in Ländern zu fassen, in denen wir nicht über ausreichende Mittel verfügen, brauchen wir uns nur das Beispiel Dänemark vor Augen zu führen, ein totaler Misserfolg, Südfrankreich, wo wir, selbst nach der Besetzung der ehemaligen italienischen Zone, höchst mäßige Erfolge erzielt haben, und Italien, wo Volk und Kirche Tausende von Juden verstecken, deren wir nicht habhaft werden … Die Judenräte ermöglichen uns eine beträchtliche Personalersparnis, und
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