Die Wohlgesinnten
Grenze. Der dicke Wisliceny tauchte neben meinem Fahrzeug auf und klopfte an die Scheibe: »Nehmen Sie Ihren Rum mit und kommen Sie.«Wir hatten zur Marschverpflegung auch etwas Rum bekommen, den ich aber noch nicht angerührt hatte. Ich folgte Wisliceny, der von einem Fahrzeug zum anderen ging und die Offiziere herausholte. Vor uns lastete die rote Scheibe der Sonne auf den Gipfeln, der wolkenlose Himmel war blass, ein helles Blau mit gelben Einfärbungen. Als unsere Gruppe auf der Höhe von Eichmanns Schwimmwagen angekommen war, so ziemlich an der Spitze der Kolonne, umringten wir ihn, und Wisliceny ließ ihn aussteigen. Außer den Offizieren vom IV B 4 waren noch die Chefs der befristet unterstellten Kompanien zugegen. Wisliceny hob sein Fläschchen, richtete einen Glückwunsch an Eichmann und trank auf dessen Gesundheit: Eichmann feierte an diesem Tag seinen achtunddreißigsten Geburtstag. Er stotterte vor Freude: »Ich bin gerührt, meine Herren, sehr gerührt. Heute feiere ich zum siebten Mal Geburtstag als SS-Offizier. Ich kann mir kein schöneres Geschenk als Ihre Gesellschaft vorstellen.« Er strahlte, hochrot im Gesicht, lächelte in die Runde und trank unter den Lebehochrufen in kleinen Schlucken.
Der Grenzübergang verlief ohne Zwischenfall: Die Zöllner und die Honvéd-Soldaten am Straßenrand verfolgten unsere Durchfahrt mürrisch oder gleichgültig, ohne weitere Bekundungen. Strahlend kündigte sich der Morgen an. Die Kolonne machte in einem Dorf Halt, um mit Kaffee, Rum, Weißbrot und an Ort und Stelle erstandenem ungarischem Wein zu frühstücken. Dann ging es weiter. Wir kamen jetzt viel langsamer voran, die Straße war mit deutschen Fahrzeugen verstopft, Mannschaftswagen und Panzern, denen wir kilometerweit folgen mussten, bevor wir sie überholen konnten. Doch mit einer Invasion hatte das keine Ähnlichkeit, alles lief ruhig und geordnet ab, die Zivilisten stellten sich an den Straßenrand, um uns vorbeifahren zu sehen, einige winkten uns sogar freundlich zu.
Am Nachmittag kamen wir in Budapest an und quartiertenuns auf dem rechten Ufer ein, hinter dem Schloss, auf dem Schwabenberg, wo die SS die großen Hotels requiriert hatte. Ich wurde provisorisch in einer Suite des Astoria untergebracht, mit zwei Betten und drei Sofas für acht Mann. Am nächsten Morgen ging ich auf Erkundung. In der Stadt wimmelte es von Deutschen: Offizieren der Wehrmacht und der Waffen-SS, Diplomaten des Auswärtigen Amts, Polizeibeamten, Ingenieuren der OT, Wirtschaftsfachleuten des WVHA, Agenten der Abwehr mit häufig wechselnden Namen. In dem ganzen Durcheinander wusste ich noch nicht einmal, wer mein unmittelbarer Vorgesetzter war, daher suchte ich Geschke auf, der mir mitteilte, er sei zum BdS bestimmt, aber der Reichsführer habe auch einen HSSPF ernannt, Obergruppenführer Winkelmann, der mir alles erklären werde. Doch Winkelmann, ein etwas korpulenter Polizeioffizier mit Bürstenhaarschnitt und vorspringendem Kinn, wusste noch nicht einmal von meiner Existenz. Er erläuterte mir, dass wir entgegen allem Anschein Ungarn nicht besetzten, sondern auf Ersuchen Horthys kämen, um die ungarischen Dienste zu beraten und zu unterstützen: Ungeachtet der Gegenwart eines HSSPF, eines BdS, eines BdO und verwandter Dienste hatten wir keinerlei exekutive Funktion, die ungarischen Behörden behielten alle souveränen Rechte. Jede ernsthafte Meinungsverschiedenheit müsste SS-Brigadeführer Dr. Veesenmayer, dem neuen Bevollmächtigten des Großdeutschen Reiches in Ungarn, oder seinen Kollegen vom Auswärtigen Amt vorgelegt werden. Laut Winkelmann befand sich auch Kaltenbrunner in Budapest; er war in Veesenmayers Salonwagen gekommen, der an Horthys aus Klessheim zurückkehrenden Sonderzug angehängt worden war, und verhandelte mit Generalleutnant Döme Sztójay, dem ehemaligen ungarischen Botschafter in Berlin, über die Bildung einer neuen Regierung (Kállay, der gestürzte Ministerpräsident, hatte sich in die türkische Gesandtschaft geflüchtet).Ich hatte keinen Grund, Kaltenbrunner aufzusuchen, und meldete mich stattdessen in der deutschen Botschaft: Veesenmayer war beschäftigt, daher wurde ich von seinem Geschäftsträger Legationsrat Feine empfangen, der sich über meinen Auftrag unterrichten ließ, mir vorschlug abzuwarten, bis sich die Situation geklärt hatte, und mir riet, mit der Botschaft in Verbindung zu bleiben. Was für ein Durcheinander!
Im Astoria traf ich Obersturmbannführer Krumey, Eichmanns Vertreter. Er
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