Die Wohlgesinnten
Bratkartoffeln, wozu mir der Wein noch köstlicher schmeckte. Ich hatte mich ans Ende des langen Tisches gesetzt, nicht an den Platz des Hausherrn, sondern an die Seite, mit dem Rücken zum knisternden Kaminfeuer, neben mir einen großen Kandelaber, das elektrische Licht hatte ich ausgeschaltet und aß jetzt im goldenen Kerzenschein, schlang das englisch gebratene Fleisch und die Kartoffeln Bissen für Bissen in mich hinein und trank den Wein in langen Schlucken, und mir war, als säße meine Schwester mir gegenüber, ebenso gemächlich essend mit ihrem schönen unbestimmten Lächeln, einer dem anderen zugewandt, während sich ihr Mann zwischen uns am Kopfende des Tisches in seinem Rollstuhl befände, wir unterhielten uns freundlich, meine Schwester sprach mit leiser klarer Stimme, Üxküll herzlich, mit jener Förmlichkeit und Strenge, die ihn nie zu verlassen schienen, aber mit der ganzen Zuvorkommenheit des Aristokraten aus alter Familie, ohne mir jemals ein Gefühl der Befangenheit zu geben, und in diesem warmen flackernden Licht sah und hörte ich unserer Unterhaltung zu, mit der ich in meinerFantasie beschäftigt war, während ich aß und die Flasche dieses öligen, opulenten, märchenhaften Bordeaux leerte. Ich schilderte Üxküll die Zerstörung Berlins. »Das scheint Sie nicht zu schockieren«, meinte ich schließlich. »Es ist eine Katastrophe«, erwiderte er, »aber keine Überraschung. Unsere Feinde machen sich unsere Methoden zu eigen, was Wunder? Deutschland wird den Kelch bis zur bitteren Neige leeren.« Dann wandte sich unser Gespräch dem 20. Juli zu. Ich wusste von Thomas, dass Üxküll mehrere Freunde hatte, die direkt beteiligt gewesen waren. »Seither ist der pommersche Adel von Ihrer Gestapo erheblich dezimiert worden«, meinte er kühl. »Ich kannte Tresckow senior sehr gut, einen Mann von großer moralischer Integrität, wie sein Sohn. Natürlich auch Stauffenberg, einen entfernten Verwandten meiner Familie.« – »Wie das?« – »Seine Mutter ist eine Üxküll-Gyllenband, Karoline, meine Cousine zweiten Grades.« Una hörte schweigend zu. »Sie scheinen ihre Tat zu billigen«, sagte ich. Seine Antwort kam mir wie von selbst in den Sinn: »Ich habe vor einigen von ihnen großen persönlichen Respekt, aber ich missbillige ihren Versuch aus zwei Gründen. Erstens kommt er viel zu spät. Sie hätten es 1938 tun müssen, während der Sudetenkrise. Sie haben es auch überlegt, Beck wollte es, aber die Tatsache, dass die Engländer und Franzosen vor diesem lächerlichen Gefreiten den Schwanz eingekniffen haben, hat ihnen den Wind aus den Segeln genommen. Und dann haben Hitlers Erfolge sie entmutigt und schließlich mitgerissen, sogar Halder, der doch ein sehr intelligenter Mann ist, wenn auch etwas zu sehr Kopfmensch. Beck seinerseits hat den Verstand eines Ehrenmanns, er hatte sicherlich begriffen, dass es zu spät war, aber er hat nicht gekniffen, er wollte die anderen unterstützen. Der wirkliche Grund ist jedoch, dass Deutschland sich entschieden hat, diesem Mann zu folgen, der um jeden Preis seine Götterdämmerung will, und jetzt muss Deutschland ihm bis zum Ende folgen. Ihn jetzt umzubringen,das wäre der erbärmliche Versuch, im letzten Augenblick die eigene Haut zu retten, das hieße, zu betrügen, mit gezinkten Karten zu spielen. Wie gesagt, dieser Kelch muss bis zur bitteren Neige geleert werden. Nur so kann etwas Neues beginnen.« – »Jünger sieht es genauso«, sagte Una. »Er hat es Berndt geschrieben.« – »Ja, das hat er mir durch die Blume zu verstehen gegeben. Er hat auch einen Aufsatz geschrieben, der unter der Hand die Runde macht.« – »Ich habe Jünger im Kaukasus gesehen«, sagte ich, »hatte aber keine Gelegenheit, mit ihm zu reden. Auf jeden Fall ist der Versuch, den Führer umzubringen, ein unsinniges Verbrechen. Es gibt vielleicht keinen Ausweg, aber Verrat finde ich inakzeptabel, heute wie 1938. Das ist ein Reflex Ihrer zum Untergang verurteilten Klasse. Sie wird unter den Bolschewisten genauso wenig überleben.« – »Gewiss«, erwiderte Üxküll ruhig. »Wie gesagt, alle sind Hitler gefolgt, auch die Junker. Halder glaubte, wir könnten die Russen besiegen. Nur Ludendorff hat es verstanden, aber zu spät, und er hat Hindenburg verflucht, weil er Hitler an die Macht gebracht hat. Ich habe diesen Mann immer verabscheut, halte mich deshalb aber nicht für berechtigt, mich dem Schicksal Deutschlands zu entziehen.« – »Ihre und Ihresgleichen Zeit ist vorbei,
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