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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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wieder in die holprige Birkenallee hinein. Ich stellte meinen Kleidersack vor der Tür ab. Ich betrachtete den verschneitenHof, Pionteks Wagen, der die Allee hinauffuhr. Abgesehen von den Reifenabdrücken, gab es keinerlei Spuren im Schnee, niemand kam hierher. Ich wartete, bis er das Ende der Allee erreicht hatte und auf die Straße nach Tempelburg einbog, dann öffnete ich die Tür.
    Der Eisenschlüssel, den Käthe mir gegeben hatte, war dick und schwer, und das gut geölte Schloss ließ sich mühelos öffnen. Offenbar waren auch die Angeln geölt, die Tür quietschte nicht. Ich stieß einige Läden auf, um Licht in die Diele zu lassen, dann sah ich mir das Haus an: die schöne, kunstvoll gearbeitete Holztreppe, die lange Reihe der Bücherschränke, das im Laufe der Zeit abgewetzte Parkett, die kleinen Skulpturen und Zierleisten, auf denen noch Spuren des abgeplatzten Blattgolds zu erkennen waren. Ich betätigte den Schalter: In der Mitte des Raums ging ein Kronleuchter an. Ich machte ihn aus und ging die Treppe hinauf, ohne mir die Mühe zu machen, die Haustür zu schließen oder Mütze, Mantel und Handschuhe abzulegen. Im ersten Stock lief ein langer, von Fenstern gesäumter Flur durch das Haus. Ich öffnete eines nach dem anderen, stieß die Läden zurück und schloss die Fenster wieder. Dann öffnete ich die Türen: Neben der Treppe war ein Abstellraum, eine Dienstbotenkammer, ein weiterer Flur, der zum Lieferantenaufgang führte; den Fenstern gegenüber ein Badezimmer und zwei kleine kalte Gästezimmer. Am Ende des Flurs führte eine Tapetentür in ein riesiges Schlafzimmer, das den ganzen hinteren Teil des Stockwerks einnahm. Ich machte Licht. In dem Zimmer stand ein großes Baldachinbett mit gedrechselten Pfosten, aber ohne Vorhänge und Himmel, ein altes Sofa aus rissigem abgewetztem Leder, ein Schrank, ein Sekretär, eine Frisierkommode mit hohem Spiegel und ein weiterer großer Standspiegel gegenüber dem Bett. Neben dem Schrank war eine zweite Tür, die in ein Badezimmer führen musste. Es war offenbar das Zimmer meiner Schwester, kalt und geruchlos.Ich warf noch einen Blick in die Runde, dann ging ich hinaus und schloss die Tür, ohne die Fensterläden geöffnet zu haben. An die Diele im Erdgeschoss grenzte ein geräumiger Salon mit einem langen Esstisch aus altem Holz und einem Flügel; dann kamen die Wirtschaftsräume und die Küche. Dort öffnete ich alles, trat auch einen Augenblick auf die Terrasse hinaus, um den Wald zu betrachten. Es war fast mild, der Himmel war grau, der Schnee schmolz, und es tropfte mit einem hübschen leisen Geräusch vom Dach auf die Steinplatten der Terrasse, am Fuß der Hauswand gruben die Tropfen kleine Löcher in die Schneedecke. In einigen Tagen, dachte ich, wenn es nicht wieder kalt wird, ist das Schlamm, und das hält die Russen auf. Ein Rabe flatterte schwerfällig zwischen den Kiefern auf, krächzend, und ließ sich etwas weiter nieder. Ich schloss die Glastür wieder und kehrte in die Diele zurück. Die Eingangstür stand noch immer offen: Ich holte meinen Kleidersack herein und schloss die Tür. Hinter der Treppe befand sich noch eine Doppeltür aus lackiertem Holz mit runden Verzierungen. Das mussten Üxkülls Räume sein. Ich zögerte, dann ging ich wieder in den Salon, sah mir die Möbel an, die wenigen sorgfältig ausgesuchten Nippsachen, den großen Kamin aus Natursteinen, den Flügel. Hinter dem Flügel, in einer Ecke, hing ein lebensgroßes Porträt: von Üxküll, noch jung, im Halbprofil, aber den Betrachter anblickend, mit bloßem Kopf und in Weltkriegsuniform. Eingehend musterte ich es, die Auszeichnungen, den Siegelring, die nachlässig gehaltenen Wildlederhandschuhe. Dieses Porträt erschreckte mich ein wenig, ich spürte, wie sich mein Magen krampfte, musste aber anerkennen, dass er einmal ein schöner Mann gewesen war. Ich ging zu dem großen Flügel und hob den Deckel. Mein Blick wanderte von dem Bild zu der langen Reihe von Elfenbeintasten, kehrte dann zum Bild zurück. Mit einem Finger schlug ich eine Taste an. Ich wusste nicht einmal, welcher Ton es war,ich wusste nichts, und vor dem schönen Porträt von Üxkülls wurde ich wieder von dem alten Bedauern heimgesucht. Ich sagte mir: Ich würde so gerne Klavier spielen können, so gerne noch einmal Bach hören, bevor ich sterbe. Doch für dieses Bedauern war es zu spät, ich schloss den Deckel und verließ den Salon über die Terrasse. In einem Schuppen neben dem Haus fand ich die

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