Die Wohlgesinnten
entschuldigen Sie, wenn ich das so sage.« – »Und Ihre wird auch bald vorbei sein. Und sie wird sehr viel kürzer gewesen sein.« Er blickte mich unverwandt an, wie man eine Küchenschabe oder eine Spinne anblickt, nicht mit Ekel, sondern mit der kalten Leidenschaft eines Entomologen. Ich malte mir das alles ganz deutlich aus. Den Margaux hatte ich geleert, ich war etwas angetrunken, ich entkorkte den Saint-Émilion, wechselte unsere Gläser und ließ Üxküll kosten. Er sah sich das Etikett an. »Ich erinnere mich an diese Flasche. Ein römischer Kardinal hat sie mir geschickt. Wir hatten eine lange Diskussion über die Rolle der Juden geführt. Er vertrat die sehr katholische Ansicht, man müsse die Juden zwarunterdrücken, brauche sie aber als Zeugen für die Wahrheit Christi, eine Position, die ich schon immer absurd fand. Ich glaube im Übrigen, dass er sie vor allem aus Freude am Disput vertrat, er war Jesuit.« Er lächelte und stellte mir eine Frage, vermutlich, um mich zu reizen: »Offenbar hat die Kirche Schwierigkeiten gemacht, als Sie versucht haben, die römischen Juden zu evakuieren?« – »Es scheint so. Ich war nicht dabei.« – »Es gibt nicht nur die Kirche«, sagte Una. »Weißt du noch, dein Freund Karl-Friedrich hat uns gesagt, dass die Italiener keine Ahnung von der Judenfrage hätten?« – »Ja, das stimmt«, erwiderte Üxküll. »Er sagte, die Italiener würden noch nicht einmal ihre eigenen Rassengesetze anwenden, sie würden auch die ausländischen Juden vor Deutschland schützen.« – »Das stimmt«, sagte ich, und ich fühlte mich unbehaglich. »Wir hatten in dieser Angelegenheit Probleme mit ihnen.« Worauf meine Schwester erwiderte: »Ein Beweis für ihr gesundes Empfinden. Sie kennen den wahren Wert des Lebens. Ich kann sie verstehen: Sie haben ein schönes Land, viel Sonne, sie essen gut, und ihre Frauen sind schön.« – »Anders als in Deutschland«, fügte Üxküll lakonisch hinzu. Ich kostete endlich den Wein: ein Hauch von gerösteter Nelke und Kaffee, ich fand ihn voller als den Margaux, geschmeidig, rund und elegant. Üxküll blickte mich an: »Wissen Sie, warum Sie die Juden töten? Wissen Sie das?« In dieser seltsamen Unterhaltung legte er es fortwährend darauf an, mich zu provozieren, ich antwortete nicht, ich widmete mich dem Wein. »Warum waren die Deutschen so versessen darauf, die Juden umzubringen?« – »Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, dass es nur um die Juden ging«, sagte ich ruhig. »Die Juden sind nur eine Gruppe von Feinden. Wir werden alle unsere Feinde vernichten, wer und wo sie sind.« – »Schon, aber geben Sie zu, dass Sie bei den Juden eine besondere Verbissenheit an den Tag gelegt haben.« – »Ich glaube nicht. Mag sein, dass der Führer persönlicheGründe hat, die Juden zu hassen. Doch beim SD sind wir frei von Hass, wir gehen bei der Verfolgung unserer Feinde sachlich zu Werke. Wir treffen rationale Entscheidungen.« – »So rational nun auch wieder nicht. Warum mussten Sie die Geisteskranken, die Behinderten in den Anstalten eliminieren? Was für eine Gefahr haben diese armen Menschen dargestellt?« – »Nutzlose Esser. Wissen Sie, wie viele Millionen Reichsmark wir auf diese Weise eingespart haben? Gar nicht zu reden von den frei gewordenen Krankenhausbetten für die Verwundeten von der Front.« – »Ich weiß es«, ließ sich in diesem warmen, goldenen Licht Una vernehmen, die uns schweigend zugehört hatte, »ich weiß, warum wir die Juden getötet haben.« Sie sprach mit klarer, fester Stimme, ich vernahm alles ganz deutlich und hörte ihr nach Beendigung meiner Mahlzeit zu, während ich weiter trank. »Indem wir die Juden töteten«, sagte sie, »wollten wir uns selber töten, den Juden in uns töten, töten, was in uns der Vorstellung glich, die wir uns vom Juden machen. Den vollgefressenen Bürger in uns töten, der seine Groschen zählt, der der Ehre hinterherläuft und von der Macht träumt, aber einer Macht, die er sich in Gestalt eines Napoleons III. oder eines Bankiers vorstellt, die engstirnige und betuliche Moral der Bourgeoisie töten, die Sparsamkeit töten, den Gehorsam töten, die knechtische Gesinnung töten, alle diese schönen deutschen Tugenden töten. Denn wir haben nie begriffen, dass alle Eigenschaften, die wir den Juden zuschrieben – Gemeinheit, Schwachheit, Geiz, Gier, Herrschsucht und Bösartigkeit –, zutiefst deutsche Eigenschaften sind und dass die Juden diese Eigenschaften nur deshalb an den Tag
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