Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
Vom Netzwerk:
wies ich Piontek an, die Autobahn zu verlassen und Richtung Norden zu fahren, auf der Straße nach Bad Polzin. Nach einer langen geraden Strecke durch weite Felder zwischen Tannenwäldern, die den See verbargen, führte die Straße über eine steile, von Bäumen gekrönte Landenge, die den Dratzig- und den kleineren Sarebensee wie eine Messerklinge trennt. Unten erstreckte sich in einer langen Krümmung zwischen den beiden Seen ein kleines Dorf, Alt Draheim, stufenförmig angeordnet um einen quadratischen massiven Steinblock, den Ruinen einer alten Burg. Jenseits des Dorfes bedeckte ein Kiefernwald das Nordufer des Sarebensees. Ich ließ halten und fragte einen Bauern nach dem Weg, der ihn uns fast ohne eine Handbewegung beschrieb: noch ungefähr zwei Kilometer, dann rechts. »Sie können die Abzweigung gar nicht verfehlen«, sagte er. »Da ist eine große Birkenallee.« Trotzdem wäre Piontek fast an ihr vorbeigefahren. Die Allee führte durch ein kleines Wäldchen, bog dann nach rechts ab, durch ein schönes offenes Gelände, eine lange freie Strecke zwischen zwei hohen Vorhängen aus nackten blassen Birken, still und heiter inmitten der weißen, jungfräulichen Fläche. Das Haus lag am Ende der Allee.

AIR
     
    Das Haus war verschlossen. Ich hatte Piontek an der Hofeinfahrt halten lassen und näherte mich nun zu Fuß über den unberührten, festen Schnee. Das Wetter war ungewöhnlich mild. An der Vorderseite waren alle Läden geschlossen. Ich ging um das Haus herum, hinten befand sich eine große Terrasse mit einer Balustrade und einer geschwungenen Treppe, die in einen verschneiten, zunächst ebenen, dann abfallenden Garten führte. Dahinter erhob sich der Wald, hohe Kiefern, zwischen denen einige Buchen zu sehen waren. Auch hier war alles verschlossen, stumm. Ich kehrte zu Piontek zurück und ließ mich ins Dorf zurückfahren, wo man mir das Haus einer gewissen Käthe zeigte, die als Köchin auf dem Gut arbeitete und sich während der Abwesenheit der Besitzer um das Anwesen kümmerte. Von meiner Uniform beeindruckt, händigte mir Käthe, eine korpulente, sehr blonde, aber blasse Landfrau von etwa fünfzig Jahren, umstandslos die Schlüssel aus; meine Schwester und ihr Mann, erzählte sie mir, seien vor Weihnachten abgereist und hätten seither nichts von sich hören lassen. Ich kehrte mit Piontek zum Haus zurück. Üxkülls Wohnsitz war ein schönes kleines Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert mit einer rostbraunen und ockerfarbenen Fassade, die sich sehr lebhaft in alldem Schnee abhob, erbaut in einem merkwürdig anmutigen Barockstil, leicht asymmetrisch,sehr eigenwillig, ungewöhnlich für diese kalte und strenge Gegend. Grotesken, eine jede anders, schmückten die Eingangstür und die Fensterstürze im Erdgeschoss; von vorn schienen die Figuren mit strahlendem Lächeln ihre Zähne zu zeigen, doch von der Seite gesehen, rissen sie ihre Münder mit beiden Händen auf. Über der schweren Holztür stand in einer mit Blumen, Musketen und Musikinstrumenten geschmückten Kartusche eine Jahreszahl: 1713. In Berlin hatte mir Üxküll erzählt, wie dieses fast französisch anmutende Haus entstanden war, das seiner Mutter, einer geborenen von Recknagel, gehört hatte. Der Vorfahr, der es hatte erbauen lassen, war ein Hugenotte, der nach dem Widerruf des Edikts von Nantes nach Deutschland gekommen war. Er war ein reicher Mann gewesen und hatte einen Großteil seines Vermögens retten können. Im Alter heiratete er die verwaiste Tochter eines preußischen Landadligen, Erbin dieser Ländereien. Aber das Haus seiner Frau gefiel ihm nicht, er ließ es abreißen und das jetzige erbauen. Seine bigotte Frau aber fand diesen Luxus empörend und ließ eine Kapelle errichten, außerdem ein Nebengebäude hinter dem Haus, in dem sie den Rest ihrer Tage verbrachte und das ihr Gemahl nach ihrem Tod sofort wieder abreißen ließ. Die Kapelle stand noch immer, etwas abseits unter alten Eichen, steif, karg, mit einer schmucklosen Fassade aus roten Ziegeln und einem sehr steilen grauen Ziegeldach. Langsam ging ich um sie herum, versuchte aber nicht, hineinzukommen. Piontek stand am Wagen, er wartete, sagte nichts. Ich ging zu ihm, öffnete die hintere Tür, nahm meinen Kleidersack und sagte: »Ich bleibe einige Tage. Kehren Sie nach Berlin zurück. Ich rufe an oder schicke ein Telegramm, wenn Sie mich holen sollen. Finden Sie wieder her? Wenn man Sie fragt, sagen Sie, Sie wüssten nicht, wo ich bin.« Mit einiger Mühe wendete er und fuhr

Weitere Kostenlose Bücher