Die Wohlgesinnten
schlichen uns von Haus zu Haus – Wege und Strand nicht aus den Augen lassend. Kurz darauf kam Horst: ein ehemaliges beliebtes Seebad, das aber seit einigen Jahren für Kriegsversehrte und Rekonvaleszenten reserviert war. Auf dem Strand häuften sich die Fahrzeugwracks und Leichen, hier hatte eine große Schlacht stattgefunden. Etwas weiter waren Lichter zu sehen und Motorengeräusche zu hören, das mussten die Russen sein. Den kleinen See hatten wir schon hinter uns gelassen; laut Karte waren wir nicht mehr als zwanzig, zweiundzwanzig Kilometer von der Insel Wollin entfernt. In einem der Häuser fanden wir einen Verwundeten, einen deutschen Soldaten, den ein Granatsplitter in den Bauch getroffen hatte. Er hatte sich unter einer Treppe versteckt, rief uns aber an, als er uns flüstern hörte. Thomas und Piontek trugen ihn zu einem aufgeschlitzten Sofa, wobei sie ihm den Mund zuhielten, damit er nicht schrie; er wollte trinken, Thomas befeuchtete ein Tuch und drückte es ihm mehrfach zwischen die Lippen. Er lag dort schon tagelang, und seine keuchenden Äußerungen waren kaum zu verstehen. Die Reste mehrerer Divisionen, Zehntausende von Zivilisten unter ihrem Schutz, hätten ein Widerstandsnest in Horst, Rewahl und Hoff gebildet; er sei mit den Überbleibseln seines Regiments aus Dramburg dorthin gelangt. Dann hätten sie einen gewaltsamen Durchbruch nach Wollinversucht. Die Russen hätten die Steilküste über dem Strand gehalten und systematisch in die verzweifelte Menge geschossen, die unter ihnen vorbeigezogen sei. »Es war wie Tontaubenschießen.« Er sei fast sofort verwundet worden, und seine Kameraden hätten ihn zurückgelassen. Tagsüber sei der Strand voller Russen, die die Toten durchsuchten. Er wusste, dass Kammin in ihrer Hand war, sicherlich würden sie das ganze Haffufer halten. »In der Gegend muss es von Patrouillen wimmeln«, meinte Thomas. »Die Roten suchen doch sicherlich nach den Überlebenden des Durchbruchs.« Das stöhnende Gemurmel des Mannes ging weiter, er schwitzte; er verlangte Wasser, aber wir gaben ihm keins, er hätte vor Schmerz gebrüllt; noch nicht einmal Zigaretten hatten wir für ihn. Bevor er uns fortließ, bat er uns noch um eine Pistole; ich überließ ihm meine, mit dem Rest des Pflaumenschnapses. Er versprach zu warten, bis wir uns weiter entfernt hätten. Wir wandten uns wieder nach Süden: Nach Groß Justin und Zitzmar kam Wald. Auf den Straßen riss der Verkehr nicht ab – amerikanische Jeeps oder Studebaker mit rotem Stern, Motorräder, auch Panzer; auf den Wegen waren jetzt Patrouillen von fünf oder sechs Mann, wir brauchten unsere ganze Aufmerksamkeit, um ihnen aus dem Weg zu gehen. Zehn Kilometer von der Küste entfernt lag wieder Schnee auf den Feldern und Bäumen. Wir wandten uns nach Gülzow, südwestlich von Greifenberg; anschließend, so erklärte Thomas, würden wir versuchen, die Oder in der Nähe von Gollnow zu überqueren. Vor Morgengrauen fanden wir einen Wald, eine Hütte, aber da waren Fußspuren, und wir verließen den Weg, um etwas weiter unter Kiefern in der Nähe einer Lichtung zu schlafen, eingerollt in unsere Mäntel, direkt auf dem Schnee.
Als ich aufwachte, war ich von Kindern umringt. Zu Dutzenden bildeten sie einen großen Kreis um uns und starrten uns stumm an. Sie waren zerlumpt, schmutzig, ungekämmt;viele von ihnen trugen deutsche Uniformstücke, eine Jacke, einen Stahlhelm, einen grob zurechtgeschnittenen Mantel; einige hielten landwirtschaftliche Geräte umklammert, Hacken, Harken, Schaufeln; andere Gewehre oder Maschinenpistolen aus Blech, Holz oder Pappe. Ihre Blicke waren entschlossen und drohend. Die meisten schienen zwischen zehn und dreizehn zu sein; einige noch nicht einmal sechs; und hinter ihnen waren Mädchen. Wir standen auf, und Thomas begrüßte sie freundlich. Der Größte von ihnen, ein blonder magerer Junge, der einen Generalsmantel mit roten Aufschlägen über einer schwarzen Feldbluse trug, trat einen Schritt vor und fuhr uns herrisch an: »Wer seid ihr?« Er sprach Deutsch mit einem starken Akzent, der den Volksdeutschen verriet, aus Ruthenien oder vielleicht sogar aus dem Banat. »Wir sind deutsche Offiziere«, antwortete Thomas langsam. »Und ihr?« – »Kampfgruppe Adam. Ich bin Adam, Generalmajor Adam, das ist mein Kommando.« Piontek prustete. »Wir sind von der SS«, sagte Thomas. »Und wo sind eure Rangabzeichen?«, schnappte der Junge. »Ihr seid Deserteure!« Piontek lachte nicht mehr. Thomas ließ sich
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