Die Wohlgesinnten
nicht aus der Fassung bringen, er behielt die Hände hinter dem Rücken und sagte: »Wir sind keine Deserteure. Wir mussten unsere Rangabzeichen abtrennen, falls wir den Bolschewisten in die Hände fallen.« – »Warum diskutieren Sie mit diesen Rotznasen, Standartenführer?«, rief Piontek. »Sehen Sie nicht, dass die einen Knall haben? Die brauchen eine Tracht Prügel, sonst nichts!« – »Halten Sie den Mund, Piontek«, befahl Thomas. Ich sagte nichts, angesichts der starren, fanatischen Blicke dieser Kinder packte mich das Grauen. »Nein, ich werd’s ihnen zeigen!«, brüllte Piontek und griff nach der Maschinenpistole auf seinem Rücken. Der Junge im Offiziersmantel machte ein Zeichen, und ein halbes Dutzend Kinder stürzten sich auf Piontek, schlugen mit ihren Gerätschaften auf ihn ein und zogen ihn zu Boden. Ein Jungehob eine Hacke und rammte sie ihm in die Wange, das drückte ihm die Zähne ein und katapultierte ihm ein Auge aus dem Kopf. Piontek brüllte vor Schmerzen; ein Knüppelhieb zerschmetterte ihm die Stirn, und er verstummte. Die Kinder prügelten weiter auf ihn ein, bis sein Kopf nur noch ein blutiger Brei im Schnee war. Ich war wie versteinert, von namenlosem Entsetzen erfüllt. Auch bei Thomas regte sich kein Muskel. Als die Kinder von der Leiche abließen, schrie der Größte noch einmal: »Ihr seid Fahnenflüchtige, und wir knüpfen euch wie Verräter auf!« – »Wir sind keine Fahnenflüchtigen«, wiederholte Thomas kalt. »Wir sind mit einem Sonderauftrag des Führers hinter den russischen Linien, und Sie haben gerade unseren Fahrer umgebracht.« – »Haben Sie Papiere, um das zu beweisen?«, wollte der Junge wissen. »Wir haben sie vernichtet. Wenn der Russe uns gefangen nimmt und ahnt, wer wir sind, foltert er uns und bringt uns zum Sprechen.« – »Beweist es mir!« – »Bringen Sie uns zu den deutschen Linien, und Sie werden es sehen.« – »Wir haben Besseres zu tun, als Deserteure zu eskortieren«, zischte das Kind. »Ich rufe meine Vorgesetzten an.« – »Wie Sie wollen«, sagte Thomas ruhig. Ein kleiner Junge von ungefähr acht Jahren drängte sich durch die Gruppe, einen Kasten auf der Schulter. Es war eine hölzerne Munitionskiste mit russischem Aufdruck, auf deren Unterseite mehrere Schrauben und Kreise aus bunter Pappe befestigt waren. An der Seite der Kiste hing an einem Draht eine Konservendose herab; Halterungen hielten eine lange dünne Metallstange in die Luft; um den Hals trug der Junge echte Kopfhörer. Er klemmte sich die Hörer auf die Ohren, nahm die Kiste auf seine Knie, drehte die Pappkreise, drehte an den Schrauben, hielt sich die Konservendose an den Mund und rief: »Kampfgruppe Adam ruft Gefechtsstand! Kampfgruppe Adam ruft Gefechtsstand! Kommen!« Das wiederholte er mehrere Male, dann nahm er die für ihn viel zu großen Hörer von einemOhr. »Verbindung, Herr Generalmajor«, sagte er zu dem blonden Jungen. »Was soll ich ihnen sagen?« Der Angesprochene wandte sich an Thomas: »Name und Dienstgrad!« – »SS-Standartenführer Hauser, zur Sicherheitspolizei abkommandiert.« Der Junge drehte sich zu dem Kleinen am Funkgerät um: »Frag sie, ob sie den Auftrag von Standartenführer Hauser von der Sipo bestätigen können.« Der Kleine wiederholte die Frage in seine Konservendose und wartete. Dann erklärte er: »Die wissen nichts, Herr Generalmajor.« – »Das überrascht mich nicht«, sagte Thomas mit einer unbegreiflichen Ruhe. »Wir sind dem Führer direkt unterstellt. Lassen Sie mich in Berlin anrufen, und er wird es Ihnen persönlich bestätigen.« – »Persönlich?«, fragte der Junge, der das Kommando hatte, mit einem seltsamen Glanz in den Augen. »Persönlich«, wiederholte Thomas. Ich stand noch immer versteinert; Thomas’ Tollkühnheit ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Der Blonde nickte, und der Kleine nahm den Kopfhörersatz ab und reichte Thomas die Konservendose. »Sprechen Sie. Sagen Sie am Schluss immer ›Kommen‹.« Thomas hielt sich die Hörer an ein Ohr und nahm die Dose. Dann rief er in die Dose: »Berlin, Berlin. Hauser ruft Berlin, kommen.« Das wiederholte er mehrere Male, dann sagte er: »Standartenführer Hauser, im Sondereinsatz, zum Rapport. Ich muss den Führer sprechen. Kommen … Ja, ich warte. Kommen.« Die Kinder, die uns umringten, hielten den Blick unverwandt auf ihn geheftet; dem Jungen, der Adam genannt wurde, zitterte die Kinnlade leicht. Dann nahm Thomas Haltung an, schlug die Hacken zusammen und schrie in
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