Die Wohlgesinnten
ich versuchten mehr schlecht als recht, ihre Wunden zu säubern und mit Stofffetzen von Hemden zu verbinden. Untereinander gingen sie fast ebenso brutal miteinander um wie gegenüber den Erwachsenen. Während der Rast hatten wir die Muße, sie zu beobachten: Adam ließ sich von einem der älteren Mädchen bedienen, dann zog er es in den Wald; die anderen prügelten sich um Brot- und Wurstbrocken, die Kleinsten mussten zusehen, dass sie sich was stibitzten, wobei die Älteren ihnen Ohrfeigen oder sogar Schläge mit ihren Schaufeln versetzten; anschließend packten zwei oder drei Jungen ein Mädchen bei den Haaren, warfen es zu Boden und vergewaltigten es vor den Augen aller, bissen ihm dabei wie Kater in den Nacken; andere Jungen beobachteten sie und holten sich in aller Öffentlichkeit einen runter; wieder andere schlugen denjenigen, der gerade auf dem Mädchen war, und stießen ihn zur Seite, um seinen Platz einzunehmen, die Kleine versuchte zu fliehen, wurde wieder eingefangen und mit einem Tritt in den Bauch niedergeworfen, das Ganze unter durchdringendem Geschrei und Geheul; im Übrigen schienen mehrere dieser kaum geschlechtsreif gewordenen Mädchen schwanger zu sein. Diese Szenen wirkten sich verheerend auf meine Nerven aus, ich konnte diese toll gewordene Gesellschaft nur schwer ertragen. Einige der Kinder, vor allem die größeren, sprachen kaum Deutsch; obwohl alle noch mindestens bis vor einem Jahr zur Schule gegangen sein mussten, hatte ich nicht den Eindruck, dass irgendetwas von ihrer Erziehung hängen geblieben war, abgesehen von der unerschütterlichen Überzeugung, einer höheren Rasse anzugehören; sie lebten wie ein primitiver Stamm oder eine Horde, sie kooperierten geschickt, um zu töten oder sichNahrung zu beschaffen, dann aber stritten sie sich erbittert um die Beute. Die Autorität von Adam, dem körperlich Größten und Stärksten, schien unbestritten zu sein; ich sah, wie er den Kopf eines Jungen, der ihm nicht sofort gehorcht hatte, gegen einen Baum schlug, bis Blut floss. Vielleicht, so sagte ich mir, tötet er alle Erwachsenen, denen er begegnet, um der Älteste zu bleiben.
Dieser Marsch mit den Kindern dauerte mehrere Nächte. Ich spürte, wie ich nach und nach die Selbstbeherrschung verlor, es kostete mich ungeheure Überwindung, sie nicht meinerseits zu schlagen. Thomas bewahrte eine geradezu olympierhafte Ruhe, er verfolgte unseren Weg mit Karte und Kompass und beriet sich mit Adam über die Richtung, die es einzuschlagen galt. Vor Gollnow mussten wir die Bahnstrecke nach Kammin überqueren, dann in mehreren geschlossenen Gruppen die Straße. Dahinter lag nur noch ein ungeheurer Wald, dicht, verlassen, aber gefährlich wegen der Patrouillen, die sich glücklicherweise an die Wege hielten. Wir begegneten auch wieder deutschen Soldaten, die sich, allein oder in Gruppen, wie wir in Richtung Oder bewegten. Thomas hinderte Adam daran, die Versprengten umzubringen; zwei von ihnen schlossen sich uns an, darunter ein belgischer SS-Mann, die anderen wollten ihr Glück lieber auf eigene Faust versuchen. Nach einer weiteren Straße wurde der Waldboden sumpfig, wir waren nicht mehr weit von der Oder entfernt; laut Karte führten diese Sümpfe weiter südwärts zur Ihna, einem Nebenfluss. Nur noch mit Mühe kamen wir voran, wir sackten bis zu den Knien ein, manchmal bis zur Hüfte, die Kinder ertranken fast in den Wasserlöchern. Es war jetzt sehr mild, sogar im Wald war der Schnee verschwunden, ich konnte endlich meinen Mantel ausziehen, der immer noch durchnässt und schwer war. Adam beschloss, uns nur mit einem kleineren Trupp bis zur Oder zu eskortieren und einen Teil seiner Gruppe – die Mädchenund die kleinsten Jungen – in der Obhut der beiden Verwundeten auf einer trockenen Landzunge zurückzulassen. Wir brauchten den größten Teil der Nacht, um diese öden Sümpfe zu durchqueren; gelegentlich waren beträchtliche Umwege erforderlich, aber dank Thomas’ Kompass verloren wir nie die Orientierung. Schließlich tauchte die Oder auf, schwarz und schimmernd im Mondlicht. Zwischen uns und dem deutschen Ufer schien sich eine lange Kette von Inseln zu erstrecken. Wir konnten kein Boot finden. »Egal«, entschied Thomas, »dann schwimmen wir eben.« – »Ich kann nicht schwimmen«, sagte der Belgier, ein Wallone, der Lippert im Kaukasus gut gekannt und mir von dessen Tod in Nowobuda erzählt hatte. »Ich helfe Ihnen«, sagte ich. Thomas wandte sich an Adam: »Wollen Sie nicht mit uns
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