Die Wohlgesinnten
Läuse; sie schienen überall zu sein, und ständig gingen Melder und Vorposten in den Wäldern verloren. Allerdings hatte ich unter den Soldaten auch zahlreiche Russen in deutscher Uniform mit der weißen Armbinde der Hilfswilligen bemerkt. »Die Hiwis?«, erwiderte ein Offizier, den ich darauf ansprach. »Nein, eigentlich haben wir kein Recht dazu, aber wir nehmen sie, wir haben keine Wahl. Das sind freiwillige Zivilisten oder Kriegsgefangene. Ihr Aufgabenbereich beschränkt sich auf Transportarbeiten und andere untergeordnete Funktionen; das läuft ganz gut, sie sind an diese Verhältnisse besser gewöhnt als wir. Das Oberkommando kümmert sich nicht darum, nimmt es offiziell nicht zur Kenntnis. Jedenfalls müssen die uns völlig vergessen haben. Wir werden in Poltawa ankommen, und sie werden dort noch nicht einmal wissen, wer wir sind.« – »Haben Sie denn keine Angst, dass Partisanen das ausnutzen, um sich einzuschleichen und die Roten über Ihre Bewegungen zu informieren?« Er zuckte verdrossen die Achseln. »Wenn es ihnen Spaß macht … Auf jeden Fall gibt es auf hundert Kilometer im Umkreis keinen Russen. Auch keinen Deutschen. Keine Menschenseele. Regen und Schlamm, das ist alles.« Dieser Offizier schien völlig entmutigt zu sein; aber er zeigte mir auch, wie ich den Schlamm aus meiner Uniform entfernen konnte, das war nützlich, undich wollte ihm nicht widersprechen. »Zuerst müssen Sie den Schlamm am Ofen trocknen lassen, dann kratzen Sie ihn mit einem Messer ab, sehen Sie, so, und schließlich mit einer Drahtbürste; erst dann können Sie die Uniform waschen. Das Unterzeug müssen Sie unbedingt kochen.« Ich half ihm dabei: Es war scheußlich, im kochenden Wasser lösten sich die Läuse traubenweise, dick und aufgeschwemmt. Als ich endlich in Perejaslaw eintraf, konnte ich Häfners unterdrückte Wut besser verstehen. Er hatte die drei Untersturmführer Ott, Ries und Dammann bei sich, die nicht viel ausrichteten, weil sie die Stadt wegen der unpassierbaren Wege fast gar nicht verlassen konnten. »Wir brauchen Panzer!«, rief Häfner aus, als er mich sah. »Bald werden wir nicht einmal mehr nach Kiew zurückkönnen. Hier«, sagte er, bevor er sich unwirsch abwandte, »das ist für Sie. Herzlichen Glückwunsch.« Es war ein Fernschreiben von Blobel, in dem meine Beförderung bestätigt wurde; außerdem hatte ich das Kriegsverdienstkreuz Zweiter Klasse erhalten. Ich folgte Häfner in die Schule, die dem Teilkommando als Unterkunft diente, um meine Sachen unterzustellen. Alle, Soldaten wie Offiziere, schliefen in der Turnhalle; die Klassenzimmer dienten als Büros. Ich zog mich um und begab mich wieder zu Häfner, der mir von den Frustrationen seiner Stellvertreter berichtete: »Da gibt es zum Beispiel die Ortschaft Solotonoscha. Anscheinend hat es dort mehr als vierhundert Juden gegeben. Dammann hat dreimal versucht, dorthin zu kommen; dreimal musste er umkehren, und dabei wäre er das letzte Mal fast nicht mehr zurückgekommen. Die Männer sind allmählich äußerst aufgebracht.« Am Abend gab es Suppe und das fürchterliche schwarze Kommissbrot der Wehrmacht, und wir legten uns früh zur Ruhe. Ich schlief schlecht. Ein Waffen-SS-Mann, der einige Meter von meinem Strohsack entfernt schlief, knirschte mit den Zähnen, ein Geräusch, das an den Nerven zerrte; jedes Mal, wenn ich einschlief,weckte es mich wieder; ich war außer mir. Und ich war nicht der Einzige: Kameraden schrien ihn an, ich hörte dumpfe Geräusche und sah, dass man ihn schlug, aber es half nichts, das nervtötende Geknirsche hielt an oder setzte aus, um wenige Augenblicke später wieder aufgenommen zu werden. »So geht das jede Nacht«, klagte Ries, der neben mir schlief. »Ich werde noch verrückt. Eines Tages erwürge ich ihn.« Endlich schlief ich ein und hatte einen seltsamen, überraschenden Traum. Ich war ein großer Tintenfischgott und herrschte über eine sehr schöne von einer Mauer umgebene Stadt aus Wasser und weißen Steinen. Vor allem das Zentrum war ganz aus Wasser, und drum herum ragten hohe Gebäude empor. Bevölkert war meine Stadt von Menschen, die mich verehrten; einen Teil meiner Macht und Amtsgewalt hatte ich an einen von ihnen delegiert, meinen Diener. Doch eines Tages beschloss ich, all diese Menschen aus meiner Stadt zu weisen, zumindest eine Zeitlang. Der Befehl erging, mein Diener trug ihn unter das Volk, und schon flohen die Menschen in hellen Scharen durch die Stadttore, um in den Elendshütten abzuwarten,
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