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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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gelang es ihm, das Fahrzeug am Ausbrechen zu hindern, doch häufig stellte es sich völlig quer, und wir mussten aussteigen, um es wieder in Fahrtrichtung zu bringen; dann versanken wir bis zu den Knöcheln im Matsch, einigen Männern blieben sogar die Stiefel stecken. Alles schimpfte, schrie, fluchte. Ott hatteBretter auf den Lkw laden lassen, die wir unter die festgefahrenen Räder schoben; manchmal half das, aber das Fahrzeug brauchte nur etwas aus dem Gleichgewicht zu kommen, schon drehte eines der Antriebsräder durch und warf eine Dreckfontäne auf. Nach kurzer Zeit waren mein Mantel und meine Hose völlig verdreckt. Bei einigen Männern war das ganze Gesicht unter einer dicken Schlammschicht verschwunden, in der nur noch ihre erschöpften Augen glänzten; hatten sie das Fahrzeug aus dem Dreck gezogen, spülten sie sich rasch Gesicht und Hände in einer Pfütze ab und saßen wieder auf. Das Dorf lag sieben Kilometer von Perejaslaw entfernt; drei Stunden brauchten wir für den Weg. Sofort nach der Ankunft setzte Ott eine Gruppe in Marsch, die das Dorf jenseits der letzten Häuser abriegeln sollte, während er die anderen zu beiden Seiten der Straße verteilte. In langen Reihen duckten sich die ärmlichen Isbas unter dem Regen, von ihren Strohdächern tropfte das Wasser in die überfluteten Gärten; hier und da liefen ein paar durchnässte Hühner umher, sonst war nichts zu sehen. Ott schickte einen Unterführer und den Dolmetscher auf die Suche nach dem Starosten. Nach etwa zehn Minuten kamen sie in Begleitung eines kleinen alten Mannes zurück, der in einen Tulup gehüllt war und eine Mütze aus schäbigem Kaninchenfell trug. Im Regen stehend, befragte ihn Ott; der Alte wimmerte, beteuerte, dass keine Partisanen im Dorf gewesen seien. Ott wurde ärgerlich. »Er sagt, hier gibt es nur Alte und Frauen«, übersetzte der Dolmetscher. »Alle Männer sind tot oder fort.« – »Sag ihm, dass wir ihn als Ersten aufhängen, wenn wir was finden!«, schrie Ott. Dann schickte er seine Männer los, die Häuser zu durchsuchen. »Achtet auf den Fußboden! Manchmal graben sie sich Bunker.« Ich folgte einer der Gruppen. Der Schlamm auf der einzigen Straße des Dorfes war genauso klebrig wie auf der Landstraße; wir betraten die Isbas mit Schlammklumpen an den Füßen, die wir überall verteilten.
    In den Häusern fanden wir tatsächlich nur Alte, schmutzige Frauen, verlauste Kinder, die auf rohen, frisch gekalkten Lehmöfen schliefen. Es gab nicht viel zum Durchkämmen: Der Boden bestand aus gestampftem Lehm, ohne Dielen; Mobiliar gab es so gut wie gar nicht und einen Dachboden auch nicht, das Dach ruhte direkt auf den Wänden, eine Zwischendecke fehlte. Es stank nach Schmutz, abgestandener Luft, Urin. Hinter den Häusern auf der linken Straßenseite begann ein kleines, leicht ansteigendes Birkenwäldchen. Ich ging zwischen zwei Isbas hindurch und musterte den Waldrand. Das Wasser prasselte auf Zweige und Blätter, schwemmte das faulende Laub auf, das den Boden bedeckte; die Böschung war rutschig, kaum zu erklettern. Der Wald schien leer zu sein, aber bei dem Regen konnte ich nicht sehr weit sehen. Ein Laubhaufen, der von seltsamem Leben erfüllt war, zog meine Blicke auf sich: Die bräunlichen Blätter wimmelten von Hunderten winziger schwarzer Mistkäfer; darunter lagen verweste menschliche Überreste, noch mit braunen Uniformfetzen bekleidet. Ich ekelte mich vor den Insekten und versuchte sie wieder mit Laub zu bedecken, aber sie quollen überall hervor, wimmelten umher. Angewidert versetzte ich der Masse einen Tritt. Ein Kopf löste sich und rollte die Böschung hinab, wobei er eine Wolke von Mistkäfern in den Schlamm streute. Ich stieg wieder hinunter. Der Schädel lag an einem Stein, teilweise schon sauber und bleich, in den leeren Augenhöhlen das Gewimmel der Käfer, die zerfressenen Lippen gaben gelbe Zähne frei, die der Regen wusch: Die Kiefer hatten sich geöffnet, und der Blick fiel direkt auf das unversehrte Fleisch des Mundes, eine dicke Zunge, rosa, obszön: Man glaubte sie noch zucken zu sehen. Ich kehrte zu Ott zurück, der jetzt mit dem Starosten und dem Dolmetscher das Dorfzentrum erreicht hatte. »Frag ihn, woher die Leichen im Wald stammen«, forderte ich den Dolmetscher auf. Von der Schapka des Alten tropfte der Regenin seinen Bart, fast zahnlos murmelte er: »Das sind Rotarmisten. Im letzten Monat gab es hier im Wald Kämpfe. Viele Soldaten sind gefallen. Die Dorfbewohner haben die Männer beerdigt,

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